Archiv des Autors: Angela Wegscheider

Konferenz des Nordic Network on disability research

Reykjavik 10. – 12. Mai 2023

NNDR Sujet mit Vulkanausbruch

Alle zwei Jahre organisiert das Nordic Network on Disability Research eine Konferenz, an der sie Forscher-innen, politische Entscheidungsträger-innen, Aktivist-innen und Praktiker-innen zusammenbringt, um wissenschaftliche Erkenntnisse und Ideen auszutauschen. Die Konferenz bietet ein Forum für die internationale Zusammenarbeit in den Disability Studies und die Beiträge erstreckten sich über viele Disziplinen und deckten eine breite Palette an sozialen, politischen, kulturellen, historischen, philosophischen und menschenrechtlichen Perspektiven ab.

Als eine von 17 Beitragenden aus Österreich, aber als einzige Historikerin, präsentierte Lisa Maria Hofer erste Teilergebnisse ihrer Studie zum Linzer Taubstummeninstitut zwischen 1812 und 1869 und der Frage, wie Behinderung in sozialer und wirtschaftlicher Hinsicht, von derartigen Schulen im 19. Jahrhundert konstruiert wurde. In einer intersektionalen Gruppierung von 953 Schüler-innen konnte sie zeigen, dass häufig verschiedene intersektionale Marker wie verminderter sozioökonomischer Status, Geschlecht und verschiedene Zuschreibungen von Bildsamkeit und Gehörlosigkeit nebeneinander existierten. Damit war es möglich eine erste Orientierung in den Daten anzubieten. In ausgewählten Fallbeispielen, im Vortrag bezeichnet als Mikrobiografien von ehemaligen sogenannten Zöglingen, wurde klar, welches Wechselspiel die Überlagerung von Klasse, Behinderung und Geschlecht in konkreten Lebensverläufen bedeuten konnte. Nachzulesen hier: https://dista.uniability.org/2023/05/partizipative-historische-forschung-in-der-praxis/ und https://dista.uniability.org/2022/07/das-linzer-taubstummeninstitut-1812-1869-ein-forschungsprojekt/

Angela Wegscheider präsentierte die vielfältige, inspirierende und lange vergessene Geschichte einer frühen Behindertenbewegung in Österreich. Siegfried Braun (1893-1944) war einer der Gründer der Ersten Österreichischen Krüppelarbeitsgemeinschaft, welche das Recht auf Bildung und Ausbildung als auch Emanzipation und soziale Rechte forderte. Durch die Verwendung von Archivmaterial, u.a. zahlreiche Zeitungsberichte von und über Braun und seine Gruppe aus den 1920er und 1930er Jahren kann rekonstruiert werden, dass sich diese Gruppe davon lösen wollte, als Objekte der Wohltätigkeit betrachtet zu werden. Ende der 1920er Jahre unternahm Braun ausgedehnte Reisen, z. B. durch die Tschechoslowakei, Skandinavien und Deutschland. Braun verfolgte und dokumentierte die Entwicklung der zahlreicher Behindertenorganisationen und der öffentlichen „Krüppelfürsorge“ in vielen Ländern. 1943 deportierte das NS-Regime den als Juden identifizierten Siegfried Braun in das Ghetto Theresienstadt und 1944 in Auschwitz ermordet. Siegfried Braun wurde als „wichtige Person“ bei der Organisation des illegalen Erziehungsprogramms von Theresienstadt bezeichnet. Selbst in der unwirtlichen Umgebung des Ghettos setzte er sich für Selbsthilfe und Bildung ein. Nachzulesen auch hier: https://doi.org/10.1080/09687599.2021.1976111  

Rahel More präsentierte in ihrem Beitrag Überlegungen zu ‚storying ableism‘ und schlägt dafür einen feministischen intersektionalen Zugang zur Verknüpfung von Theorie und digitalem Aktivismus vor. Storying (Geschichtenerzählen) wir dabei als Ausgangspunkt für die Theoriebildung gesehen. Da Ableism sowohl ein aktivistischer Begriff als auch ein komplexes theoretisches Konzept ist, das von sozialen Bewegungen behinderter Menschen eingeführt und geprägt wurde, ist die Anerkennung aktivistischen Wissens über Ableism zentral. Eine theoretische Debatte losgelöst von ihrem aktivistischen Hintergrund und auch aktuellen aktivistischen Debatten birgt hingegen die Gefahr einer Entpolitisierung. In den letzten Jahren hat insbesondere digitaler Aktivismus mehr Aufmerksamkeit erhalten und bietet – trotz zahlreicher Herausforderungen – Potenziale für die Bewusstseinsbildung zu Ableism sowie für die Vernetzung in Aktivismus und Allyship. Nachzulesen auch hier: https://doi.org/10.1177/14647001231173242

Titel und Abstracts aller anderen Beiträge sind über die Konferenzhomepage zu finden: https://nndr2023.is/

Die nächste NNDR-Konferenz wird 2025 in Helsinki (Finnland) stattfinden.

 

Partizipative historische Forschung in der Praxis

„Nothing about us, without us” in der Geschichtswissenschaft!?

Von Lisa Maria Hofer

Das in diesem Beitrag dargestellte Forschungsprojekt präsentierte Lisa Maria Hofer bei der 2. DiStA Forschungswerkstatt 2023.

Der Geschichtswissenschaft kommt in vielen Bereichen eine identitätsstiftende Wirkung zu. Interpretationen der Vergangenheit haben einen Einfluss darauf, wie Gemeinschaften die Gegenwart deuten und letztlich auch wie sie ihre Zukunft gestalten. Die Geschichtswissenschaft ist aber räumlich und zeitlich an die jeweilige Gegenwart gebunden in der sie agiert. Anders ausgedrückt, nur aus der jeweiligen Gegenwart heraus kann man auf die Vergangenheit schauen. Alle Historiker-innen unterliegen dabei einer sogenannten Standortgebundenheit, die mindestens zwei Ebenen kennt, denn einerseits ist die forschende Person an ihre Zeit gebunden, andererseits auch an die eigene Sozialisation, die einen gewissen Bias in der Art der Fragestellung bedingt, bzw. auch die Lesarten und die Interpretation der Quelle beeinflussen kann. Wiederum die Fragen können aus aktuellen Problematiken resultieren, können aber auch schlichtweg ihren Ursprung im persönlichen Erkenntnisinteresse der-des Historiker-in haben.[1]

Ein weiterer Eckpfeiler der historischen Arbeit ist es, dass die verwendeten Quellen aus verschiedenen Perspektiven heraus verfasst sein sollen, um ein möglichst umfassendes Bild zeichnen zu können und der erkenntnisleitenden Frage gerecht zu werden. Man spricht von Multiperspektivität. Natürlich sind hier mit großer Wahrscheinlichkeit Leerstellen zu erwarten, da niemand anhand künftiger Fragestellungen Archivalien sammelt und überliefert. Multiperspektivität berücksichtigen zu können, hängt also auch von Überlieferungspraxen und Wertzuschreibungen der untersuchten Vergangenheit ab.[2]

Der historische Forschungsprozess sieht weiters vor, eine Quellenkritik durchzuführen, die inhaltliche und materielle Authentizität untersucht. So entsteht allerdings noch keine fertige historische Darstellung, denn die Quellen sollten noch in einen theoretischen Rahmen gestellt werden, bzw. die bisherige Literatur zum Thema einbezogen werden.[3]

Partizipative Forschung

Partizipative Sozialforschung bedeutet, dass Gruppen in den Forschungsprozess einbezogen werden, die durch ihre Sozialisation bzw. ihren bisherigen Lebenslauf einen inhaltlichen Beitrag im Forschungsprozess leisten können. Für die Geschichtswissenschaft/Sozialwissenschaft gibt es dazu bisher ein Referenzprojekt: „Das Bildnis eines behinderten Mannes“[4]. In diesem Projekt forschte eine interdisziplinäre Gruppe, auch mit Mitforschenden ohne wissenschaftliche Ausbildung, an der namengebenden Bildquelle (Entstehungszeit ca. 16. Jahrhundert) aus dem Schloss Ambras in Innsbruck und legte am Ende einen historischen bzw. sozialwissenschaftlichen Forschungsbericht vor. Alle Perspektiven wurden in der Interpretation als wertvoll erkannt und zu einer Narration verwoben, die Theorie und weitere historische Quellen miteinbezog. Die Interpretation oblag nicht alleine einer Person.[5]

Anhand dieses Referenzprojekts wurde für die Erforschung der historischen Konstruktion von Behinderung in sozialer und wirtschaftlicher Hinsicht am Beispiel der sogenannten Taubstummenanstalt zwischen 1812 und 1869 ein Forschungsdesign entwickelt, dass die deaf community in die Quellensichtung miteinbezieht. Zu diesem Zweck wurden bisher drei lebensgeschichtliche Interviews mit Quellenbezug geführt. Dazu wurde eine barrierefreie Kommunikation und deren Finanzierung sichergestellt. Die Interviews wurden über Zoom geführt und derzeit laufen die Auswertungen. Gemeinsam mit den Interviewpartner-innen wurde zunächst die Entstehungsgeschichte der Taubstummenanstalt Linz zwischen 1812 und 1869 besprochen, darauffolgend wurden allgemeine persönliche Daten zu den Personen selbst erhoben und anschließend verschiedene Quellen gemeinsam gelesen und diese anhand von Leitfragen diskutiert. Diese Leitfragen waren aber kein starres Korsett, sondern eher eine Diskussionsanregung.[6]

Partizipative Geschichtsforschung

Das Projekt zum Linzer Taubstummeninstitut untersucht die Rolle von Schüler-innen, Lehrkräften und Erziehungsberechtigten in der sozialen und wirtschaftlichen Konstruktion von Behinderung. Der Teilaspekt der Zukunftsaussichten von Schüler-innen mit Gehörlosigkeit steht hier als Beispiel für die Ergebnisse dieser Diskussion mit der deaf community. Im Taubstummeninstitut Linz besuchten zwischen 1812 und 1869 953 Schüler-innen den Unterricht. Bei 120 wurde der weitere berufliche Werdegang dokumentiert. Lediglich ein Schüler besuchte eine weiterführende Ausbildung, die übrigen 119 erlernten einen Handwerksberuf oder arbeiteten im Dienstleistungssektor. Dieses Ergebnis ist zunächst nicht verwunderlich, wenn man Urs Haeberlins „doppelte Realität“[7] des niederen Schulwesens in der Interpretation anwendet. Auch im Regelschulwesen, also ohne Vorliegen von Gehörlosigkeit, war das Schulwesen im 19. Jahrhundert wenig durchlässig, wenn die Familien der Jugendlichen keinen hohen sozioökonomischen Status hatten. Erstaunlich sind eher die Ergebnisse aus den Interviews, die die Erfahrungswelten der deaf community aus den letzten 30 Jahren zeigen. Vertreter-innen der Gemeinschaft gaben in den an, dass die Berufsberatung noch immer in Richtung Lehrberuf geht und eine höhere Bildung auch systemisch nicht vorgesehen ist, was bedeutet, dass die barrierefreien Voraussetzungen in Österreich nicht vorhanden sind. Sie stellten im Gespräch einen direkten Zusammenhang zwischen sich selbst und ihrer Sozialisation und den Inhalten der historischen Quellen her.[8]

Eine weitere zentrale Rolle spielt die zusätzliche Pathologisierung, die häufig durch die Schule erfolgte, denn bereits zwischen 1812 und 1869 fällt auf, dass von 953 Schüler-innen 237 das Label „blödsinnig“[9] erhalten, was in der heutigen Terminologie einer verminderten Bildungsfähigkeit gleichkommt. Die Unterscheidung zwischen einer kognitiven Einschränkung und der Beeinträchtigung des Hörapparats wurde im 19. Jahrhundert im Taubstummeninstitut Linz nicht klar getroffen. Es existierten keine Kriterien für diese pädagogische Diagnose. Auffällig ist jedoch, dass auch heute noch Vertreter-innen der deaf community von ähnlichen Erfahrungen berichten, wonach die Schüler-innen gehörlos in ihre Schulkarriere starten und am Ende zusätzlich zur sensorischen Beeinträchtigung eine kognitive Lernschwäche attestiert bekommen. Die Untersuchungskriterien werden als undurchsichtig empfunden, bzw. als nicht angepasst an die Bedürfnisse eines Kindes ohne Gehör, da in Lautsprache geprüft wird. [10]

Als vorläufiges Kurzfazit zu diesem Werkstattbericht sollen folgende Fragen stehen: Warum leistet man sich in Österreich eines der teuersten Bildungssysteme weltweit, wenn man Inklusion nicht umsetzt und an über 200 Jahre alten Strukturen festhält? Welche Funktion will das österreichische Bildungswesen erfüllen? Selektion oder Inklusion?

Gesetzliche Anpassungen, die für die deaf community einen Bildungsweg bis in die Oberstufe ermöglichen würden, sind überfällig und verstoßen damit gegen die Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention aus 2008. Damit diese Änderung stattfinden kann, wurden schon zahlreiche Petitionen[11] gestartet, doch würde ein Präzedenzfall vielleicht eher zu einer gesetzlichen Änderung beitragen, der aber viel Zeit, Mühe und Kosten für Interessensvertretungen bedeuten würde. Die gesetzliche Basis wird dazu alleine nicht ausreichen, es müssen auch andere Maßnahmen getroffen werden, etwa eine inklusivere Berufsberatung, am besten durch role models in Schulen, oder den flächendeckenden Ausbau von Fördermöglichkeiten. Gleichzeitig müssen künftige Lehrkräfte aller Schulstufen entsprechend sensibilisiert sein und im besten Fall schon im Studium mit Beratungsstellen in Kontakt kommen.

Inklusion im Bildungswesen ist insgesamt als ein Entwicklungsprozess zu begreifen, der zunächst die historischen Anfänge der Institutionen aufarbeiten sollte und in Verbindung mit Erfahrungswelten der letzten Jahrzehnte nicht nur eine Argumentationsbasis darstellen kann, sondern die Basis für Kritik und Verbesserungsvorschläge bildet.


Lisa Maria Hofer studierte Geschichte und Germanistik als Lehramtsfächer für die Sekundarstufe II an der Universität Salzburg. Aktuell arbeitet sie als Universitätsassistentin an der Universität Linz.


[1] Vgl. Jordan, Stefan, Theorien und Methoden der Geschichtswissenschaft. 3. Aufl., Wien u.a. 2016, S. 15 – 17, S. 47 – 49.

[2] Vgl. Klaus Bergmann, Multiperspektivität. Geschichte selber denken, Wochenschau Schwalbach/Ts. 2000.

[3] Klaus Arnold: Der wissenschaftliche Umgang mit Quellen. In: Hans-Jürgen Goertz (Hrsg.): Geschichte. Ein Grundkurs. 2. Auflage. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 2001, S. 42–58, hier S. 5.

[4] Vgl. Christian Murner, Volker Schönwiese, Hg., Das Bildnis eines behinderten Mannes. Bildkultur der Behinderung vom 16. Bis 21. Jahrhundert. Ausstellungskatalog und Wörterbuch. Neu-Ulm 2006.

[5] Vgl. Rico Defila & Antonietta Di Giulio, Partizipative Wissenserzeugung und Wissenschaftlichkeit – ein methodologischer Beitrag, in: Rico Defila & Antonietta Di Giulio (Hg.), Transdisziplinär und transformativ forschen, Eine Methodensammlung, Wiesbaden 2018, S. 39 – 69, S. 55 – 60; Petra Flieger, (2003), Partizipative Forschungsmethoden und ihre konkrete Umsetzung. bidok:: Bibliothek :: Flieger – Partizipative Forschungsmethoden und ihre kon… (uibk.ac.at).

[6] Das Linzer Taubstummeninstitut (1812 – 1869) – Ein Forschungsprojekt – DISTA (uniability.org)

[7] Vgl. Urs Haeberlin (2006): Schule, Schultheorie, Schulversuche. In: Georg Antor (Hg.): Handlexikon der Behindertenpädagogik. Schlüsselbegriffe aus Theorie und Praxis. 2., überarb. und erw. Aufl. Stuttgart: Kohlhammer, S. 276–279, S. 276.

[8] Vgl. Diözesanarchiv Linz, Catalog der k.k. Provincial-Taubstummen Lehranstalt Linz seit der Zeit ihres Entstehens im Jahre 1812; Lebensgeschichtliche Interviews mit Frau W. (März 2023); Menschen mit Behinderungen im Spiegel der Berufsbildungsstatistik (2013). Online verfügbar unter https://www.bibb.de/dokumente/pdf/ab21_dazubi_kurzpapier_menschen_mit_behinderung_in_der_berufsbildungsstatistik_201306.pdf. (Situation in Deutschland).

[9] Diözesanarchiv Linz, Catalog der k.k. Provincial-Taubstummen Lehranstalt Linz seit der Zeit ihres Entstehens im Jahre 1812

[10] Vgl. Diözesanarchiv Linz, Catalog der k.k. Provincial-Taubstummen Lehranstalt Linz seit der Zeit ihres Entstehens im Jahre 1812, Lebensgeschichtliche Interviews mit Frau W. März 2023

[11] INKLUSIVE BILDUNG – JETZT (inklusive-bildung-jetzt.at)

Bericht über die 2. Online Dis/Ability-Forschungswerkstatt

Am 5. Mai 2023 fand zum zweiten Mal die Österreichische Online Inter- und Transdisziplinäre Dis/Ability-Forschungswerkstatt statt. Ziel der Veranstaltung war vor allem die Vernetzung und die Verbreitung der vielfältigen Projekte im Bereich der emanzipatorischen Behinderungsforschung in Österreich. Heuer stand die Forschungswerkstatt im Zeichen des 15-jährigen Jubiläums des Inkrafttretens des UN-Übereinkommens über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-BRK). Dies geschah am 3. Mai 2008 nachdem, wie in der Konvention festgelegt, diese von 20 Staaten ratifiziert worden war. Fast 75 Personen nahmen an der Veranstaltung teil, verfolgten die Beiträge der Vortragenden aus einer Vielzahl von Disziplinen und brachten sich in rege Diskussionen ein. Alle Beiträge wurden simultan in Schrift und ÖGS übersetzt.

Den ersten Slot zum Thema Hochschule moderierte Matthias Forstner. Zuerst referierte Michaela Joch (WU Wien) in ihrem Beitrag über Inklusions- und Exklusionsmechanismen in der akademischen Wissenschaft aus der Sicht von Menschen mit Behinderungen, die wissenschaftlich tätig sind. Theresa M. Straub (Uni Innsbruck) legte sodann ihren Fokus auf Studierende mit Behinderungen und ihre Sichtweisen, wie die Aufnahme zum Studium sowie dessen und Abschluss gelingen. Ein Fokus lag dabei auf den diesbezüglichen Barrieren im System Universität.

Slot 2 zu (Geschlechter-)Vielfalt moderierte Rahel More. Julia Seuschez (Uni Klagenfurt) präsentiere die Ergebnisse ihrer Forschung zu Intersexualität und Geschlechtsidentität im Kontext des Ullrich-Turner-Syndroms und verband diese mit dem Konzept des Otherings. Im darauffolgenden Beitrag wies Kassandra Ruhm (Uni Bremen) darauf hin, dass für Menschen mit Behinderungen ungleiche Chancen für die Nutzung von Psychotherapie und psychosozialer Beratung bestehen. Um mehr Anbieter:innen von Beratungsarbeit dazu zu ermutigen, auch mit Menschen mit Behinderungen zu arbeiten, erarbeitete sie eine Broschüre, die aufzeigt, wie in solchen SituationenVielfalt und Intersektionalität erreicht werden kann und welche Faktoren diesbezüglich zu beachten sind.

Nach der Mittagspause moderierte Andreas Jeitler Slot 3 zu Partizipation. Lisa Maria Hofer (Uni Linz) stellte erste Ergebnisse ihres Disability History Forschungsprojekt mit einem partizipativen Zugang vor. Im Fokus ihrer Forschung steht die Geschichte des Linzer ‚Taubstummeninstituts‘ von 1818-1919. Nikolaus Hauer und Helga Fasching (Uni Wien) präsentierten ein von ihnen erfolgreich umgesetztes Projekt, als Beispiel, wie universitäre Lehre partizipativ gestaltet werden kann. Dabei berichteten sie auch von den verwendeten Methoden.

Am Ende der Veranstaltung moderierte Angela Wegscheider eine offene Diskussion zu Partizipation an und in der Wissenschaft. Anleitend für die Diskussion war das DiStA Positionspapier zu Disability Studies in Österreich. Während sich schon nach den einzelnen Beiträgen sehr interessante und kurzweilige Interaktionen ereigneten kam es auch nun zu einer regen Beteiligung der Anwesenden, die trotz allerschönstem Frühlingswetter noch immer zahlreich anwesend waren.

Wir danken allen Teilnehmenden und Vortragenden für die gemeinsame Veranstaltung und planen für das Sommersemester 2024 eine Wiederholung.

Das Organisationsteam,

Matthias Forstner, Andreas Jeitler, Rahel More und Angela Wegscheider

 

Portrait von Siegfried Braun im Newsletter Behindertenpolitik (12/2022)

Im Newsletter Behindertenpolitik erschien ein Text über das Leben von Siegfried Braun und zusätzlich ein Portrait von ihn. Damit wurde erstmals ein Foto von dem Aktivisten und Mitbegründer der Ersten Österreichischen Krüppelarbeitsgemeinschaft veröffentlicht.
 
Das Foto ist Teil eines Antrages zur Vereinsgründung aus dem Jahr 1933, den Siegfied Braun bei den tschechischen Behörden einreichte. Siegfried Braun und seine Mitstreiter hatten das Ziel, einen Verein für Menschen mit Körperbehinderungen in der Tschechischen Republik zu gründen, der Emanzipation von und Rechte für Menschen mit Behinderungen fördern sollte. Volker Schönwiese und Angela Wegscheider haben diese Unterlagen im tschechischen Staatsarchiv entdeckt.
 
Siegfried Braun Newsletter Behindertenpolitik 12_22

Siegfried Braun Newsletter Behindertenpolitik 12_22

Seit 2000 erscheint das BIOSKOP mit dem Newsletter Behindertenpolitik. Die Zeitschrift BIOSKOP des gleichnamigen Forums zur Beobachtung der Biowissenschaften und ihrer Technologien hat ihren Sitz in Deutschland. Das Forum beobachtet, analysiert, kommentiert die gesellschaftspolitischen Szenarien der »Life-Sciences«-Propagandist*innen in Politik, Industrie und Hochschulen. Ihre Analysen sind auch für den österreichischen Kontext relevant, sowie unabhängig und kritisch.
 
Länger zurückliegenden Hefte sind online abrufbar:
 
Die Zeitschrift kann auf der Webseite abonniert und somit die Arbeit des Forums und die Produktion der Zeitschrift unterstützt werden.

Fast kein Thema: Personalmangel in der persönlichen Assistenz

Nur wenige Medienberichte fassen sich mit dem aktuen Personalmangel in der persönlichen Assistenz und ihren Folgen für die Betroffenen. Denn keine Assistent-innnen zu haben kann für viele Menschen mit Behinderungen lebensgefährlich sein. Die FURCHE greift das Thema den Arbeitskräftemangel in der persönlichen Assistenz endlich mal wieder auf.

In Österreich leben rund 2.000 Menschen selbstständig mit persönlicher Assistenz. Ihr Assistenzbedarf basiert dem ärztlich eingeschätzten Pflegebedarf. Damit erhalten sie eine monatliche Förderung, mit der sie ihre Assistent-innen zahlen können. Auswählen zu dürfen, welche Assistent-innen zu einem passen und welche nicht, ist durch die Intimität des Jobs essenziell, erklärt Matthias Forstner. Der Soziologe forscht an der Johannes Kepler Universität Linz zu Disability Studies  und arbeitet selbst mit persönlicher Assistenz arbeitet. Mehr dazu hier: Tödlicher Personalmangel: Persönliche Assistenz für Menschen mit Behinderung | Die FURCHE

Dieser Text erschien unter dem Titel „Für ein Leben in Würde“ in der Printausgabe der FURCHE Nr. 5/2023 und online Tödlicher Personalmangel: Persönliche Assistenz für Menschen mit Behinderung | Die FURCHE

 

Wo Licht, da auch Schatten

Warum die ORF Hilfskampagne „Licht ins Dunkel“ in der Kritik steht

Bundespräsident Alexander Van der Bellen nimmt am 24.12.2022 telefonisch Spenden entgegen (oder tut so als ob für die Kamera). (Quelle: Licht ins Dunkel)

Der Beitrag wurde verfasst von Andrea Lehner, Studentin im Bachelorstudium Sozialwirtschaft, im Rahmen der LVA Österreichische Politik, Schwerpunkt Gleichstellungspolitik.

Am 24. Dezember 2022 fand im ORF zum 45. Mal die traditionelle „Licht ins Dunkel“-Weihnachtssendung statt. In der ORF-Spendengala wird um Spenden für Sozialhilfe- und Behindertenprojekte in Österreich gebeten. Diese werden medienwirksam von Politiker:innen und Prominenten am Telefon entgegengenommen. Bereits im Vorfeld wurde – wie alle Jahr wieder – Kritik an der Veranstaltung geäußert. Menschen mit Behinderungen fordern sogar die Abschaffung von „Licht ins Dunkel“. Angesichts der hohen Spendensumme mag dies für viele Menschen nicht nachvollziehbar sein. Was sind die Hintergründe?

Das Spendenproblem

Am 28. November 2022 veröffentlichte die Plattform „andererseits“ eine Dokumentation mit dem Titel „Das Spenden-problem“. Die Dokumentation setzt sich medienwirksam mit mehreren kritisch zu betrachtenden Aspekten von „Licht ins Dunkel“ auseinander. Unter anderem die Darstellung der Menschen, warum Spenden überhaupt nötig sind und wer von der Sendung sonst noch profitiert.

Tränen, Rührung und Bewunderung

Die jährliche Spendengala am 24. Dezember ist für viele Menschen eine Weihnachtstradition. Im Jahr 2022 wurden bis inkl. 24.12. insgesamt 19.137.673 Euro durch Personen und Unternehmen an die Organisation gespendet. Dies macht „Licht ins Dunkel“ zu der finanziell erfolgreichsten Hilfskampagne Österreichs. Aufgrund der hohen Einschaltquoten prägt die Sendung seit Jahrzehnten das gesellschaftliche Bild von Menschen mit Behinderungen. Insbesondere Darstellungsweise wird von Betroffenen und Expert:innen bereits jahrelang kritisiert.

„Behinderung bekommt durch diese unsägliche Kampagne ein weinerliches, höchst negatives Image, von dem jede/r Abstand halten will. Behinderte Menschen werden nicht als gesellschaftliche Wesen mit Rechten dargestellt sondern als außerhalb der Gemeinschaft stehende hilfeempfangende, voller Dankbarkeit Existierende.“ (Stix, 2011)

Die Sendung arbeitet mit Emotionen, um möglichst hohe Summen zu erzielen und stellt dadurch Menschen mit Behinderungen als Opfer und hilfsbedürftig dar. Prominente und Politiker:innen drücken ihre Bewunderung und Mitleid aus. Emotionale musikalische Untermalung und Tränen gehören zur Show. Diese Form der Darstellung von Menschen mit Behinderungen widerspricht einer würdevollen Berichterstattung. (Pernegger, 2016, S. 82)

Ursula Naue, Expertin im Bereich Disability Studies, sieht als Hauptproblem, dass Behinderung als etwas Schlechtes dargestellt wird. Der Fokus liegt auf den Defiziten der Menschen, darauf was nicht funktioniert. Wie die Gesellschaft diese Menschen behindert, wird nicht behandelt. Um eine inklusive Gesellschaft zu erreichen, sollte der Fokus auf Hindernisse und Barrieren, welche Menschen mit Behinderungen aus dem alltäglichen Leben ausschließen, liegen. (andererseits, 2022)

Bringen wir Licht ins Dunkel

Die scheinheilige Welt von Licht ins Dunkel benötigt eine radikale Wendung. Menschenrechte dürfen nicht von Spenden abhängen und Menschen mit Behinderungen sitzen nicht im Dunkeln! Menschen mit Behinderungen sollten als selbstbestimmte Individuen dargestellt werden, die in der Lage sind, ihr eigenes Leben zu führen und Entscheidungen zu treffen. In das Zentrum der Aufmerksamkeit sollten Hindernisse und Barrieren in der Gesellschaft rücken. Der Nationale Aktionsplan Behinderung 2022-2030 sieht eine Neukonzipierung der ORF-Spendenaktion „Licht ins Dunkel“ vor. (Bundesministerium, 2022) Es wäre empfehlenswert auf die Kritik zu reagieren und Menschen mit Behinderung in den Prozess miteinzubinden.

Die Dokumentation von andererseits online unter: www.andererseits.org Die Studie „Mediale Darstellung von Menschen mit Behinderung“ online unter: www.rtr.at

Andrea Lehner lebt und arbeitet in Linz und studiert Sozialwirtschaft an der Johannes Kepler Universität Linz.

Andrea Lehner, Autorin

Quellenangaben:

andererseits. (2022). Das Spenden-Problem. Warum Menschen mit Behinderungen die Abschaffung von Licht ins Dunkel fordern. https://andererseits.org/spendenproblem/

Bundesministerium, S., Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz. (2022). Nationaler Aktionsplan Behinderung 2022–2030.

Licht ins Dunkel. (o. J.-a). LICHT INS DUNKEL. Abgerufen 8. Januar 2023, von https://lichtinsdunkel.orf.at/index.html  

Licht ins Dunkel. (o. J.-b). LICHT INS DUNKEL – der Verein. Abgerufen 8. Januar 2023, von https://lichtinsdunkel.orf.at/verein102.html

Licht ins Dunkel (o. J.-c). LICHT INS DUNKEL – Projektförderungen 2021/2022. Abgerufen 8. Januar 2023, von https://lichtinsdunkel.orf.at/projektfoerderung102.pdf

Pernegger, M. (2016). Menschen mit Behinderung in österreichischen Massenmedien. Jahresstudie 2015/16. MediaAffairs.

Stix, T. (2011). Was mich behindert: Licht ins Dunkel – behindertenarbeit.at. https://www.behindertenarbeit.at/8957/was-mich-behindert-licht-ins-dunkel/

Zu Menschen mit Behinderungen in Österreich und deren Arbeitsmarktzugang

Dieser Beitrag wurde von Marcel Wolf, Student im Bachelorstudium Sozialwirtschaft, im Rahmen der LVA Österreichische Politik, Schwerpunkt Gleichstellungspolitik erstellt.

Die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) stellt einen wichtigen Meilenstein dar; Diskriminierung soll bekämpft, und Gleichberechtigung gefördert werden. Ein wesentlicher Akzent wird auf Inklusion statt einfacher Integration gesetzt; niemand darf aus einem Lebensbereich exkludiert werden. In Bezug auf Beschäftigung bedeutet das, dass Menschen mit Behinderung gleichberechtigt arbeiten dürfen. (vgl. Essl, 2021, S. 79f) Dennoch sind Menschen mit Behinderungen nicht nur öfter, sondern auch länger arbeitslos als Menschen ohne Behinderung. (vgl. Bruckner, 2019, S. 176)

Zahlen zu Behinderung in Österreich und weltweit

Laut WHO lebten 2019 rund 15 Prozent der Weltbevölkerung mit einer Behinderung. Das entspricht mehr als einer Milliarde Menschen. Einer Erhebung der Statistik Austria zufolge waren es 2015 18,4 Prozent der österreichischen Wohnbevölkerung, die mit einer dauerhaften Behinderung lebten; hochgerechnet 1,3 Millionen Menschen. Wenn man das Bevölkerungswachstum berücksichtigt, waren es 2021 schon 1,7 Millionen. (vgl. Essl, 2021, S. 81) Auch deshalb ist das Thema besonders aktuell.

Herausforderungen

Eines der Ziele der UN-BRK ist es, die Arbeitsmarktsituation von Menschen mit Behinderungen zu verbessern. Konkret heißt das, dass ein Mindestmaß an Sonderarbeitswelten, ein inklusiver Arbeitsmarkt und eine dem Bedarf entsprechende Vergütung angestrebt werden soll. Die gegenwärtige Situation ist jedoch eine andere. Menschen mit Behinderungen, die keine Erwerbsarbeit bekommen, sehen sich mit Ersatzarbeitsmärkten und minderwertigen Sonderbeschäftigungsverhältnissen konfrontiert. (vgl. Wegscheider / Schaur, 2019, S. 47)

Trotz fehlender Daten lässt sich anhand eines 2018 veröffentlichen Reports weltweit eine deutliche Benachteiligung für Menschen mit Behinderungen feststellen. Menschen mit Behinderungen im Alter von 15 und aufwärts sind im Vergleich zu jenen ohne Behinderung halb so oft beschäftigt. Weiters ist die Entlohnung von Menschen mit Behinderungen meistens auch geringer. (vgl. Essl, 2021, S. 83)

Nach dem Behinderteneinstellungsgesetz sind in Österreich Unternehmen mit mehr als 24 Mitarbeiter-innen dazu verpflichtet, Menschen mit Behinderungen anzustellen. Diese Verpflichtung wird jedoch nur von 22 Prozent dieser Unternehmen erfüllt. Weiters werden Menschen mit Behinderungen, die viel Unterstützung brauchen, nach der Schule oft als arbeitsunfähig erklärt. Das Einzige, was ihnen dadurch noch offensteht, ist die Tagesstruktur. Dort waren 2019 23.000 Menschen mit Behinderungen tätig. Sie erhalten nur ein Taschengeld und haben keinen Anspruch auf eigene Kranken- oder Pensionsversicherung. Für sie gelten auch die gesetzlichen Arbeitnehmer-innenrechte nicht. (vgl. Bruckner, 2019, S. 176)

Nationaler Aktionsplan für Behinderung 2022-2030

Einer Presseaussendung des Behindertenrates zufolge bedeutet der Nationale Aktionsplan (NAP) für Behinderung 2022-2030 eine Verschlechterung der Situation. Trotz positiver Herangehensweisen werden manche wichtigen Gebiete im NAP nicht oder nicht genügend berücksichtigt. Auch im Bereich der Beschäftigung ist das der Fall. Außerdem ist das Budget nicht ausreichend. (Behindertenrat, 2022)

Call for Action

Der österreichische Behindertenrat legte 2019 schon eine Reihe an Empfehlungen für einen inklusiven Arbeitsmarkt vor, unter anderem:

  • Die Bereitstellung von Maßnahmen der Unterstützten Beschäftigung, sowie etwa persönliche Assistenz am Arbeitsplatz
  • Die Ausrichtung aller Unterstützungsmaßnahmen für Menschen mit Behinderung auf die Chance an Teilhabe am allgemeinen Arbeitsmarkt
  • Die Gewährleistung von allenfalls notwendigen Lohnkostenzuschüssen an Unternehmen von der öffentlichen Hand
  • Eine zügige Krisenintervention bei Entstehung von Krisen im Unternehmen, die eine Bedrohung der Beschäftigungsverhältnisse darstellt
  • Die Bereitstellung und Finanzierung von Sozialökonomischen Betrieben, Beschäftigungsgesellschaften und des Ausbaus der integrativen Betriebe durch die Aktive Arbeitsmarktpolitik des AMS

Auch in Bezug auf Rehabilitation und Wiedereinstieg in den Beruf bietet der Behindertenrat eine Liste von Vorschlägen. (Behindertenrat, 2019) Die Lage scheint sich jedoch durch den NAP 2022-2030 eher verschlechtert zu haben, bevor sie sich hoffentlich zum Besseren wendet. Insbesondere nach dem NAP 2022-2030 scheint die Umsetzung der UN-BRK noch einen weiten Weg vor sich zu haben. Trotz der Dringlichkeit, mit der dieses hoch relevante Thema gehandhabt werden sollte, ist also hier eher von einem Rückschlag zu sprechen. In Österreich sind Menschen mit Behinderungen nur halb so oft beschäftigt wie Menschen ohne Behinderungen. Ersatzarbeitsmärkte sind immer noch geläufig. Es sei hier auf die Vorschläge des Behindertenrates verwiesen, die leider bisher auf taube Ohren stießen.

Marcel Wolf ist Student im Bachelorstudium Sozialwirtschaft.

Marcel Wolf, Autor

Literaturverzeichnis:

Behindertenrat (2019): Strategische Vorschläge für einen inklusiven Arbeitsmarkt. Umsetzungsvorschläge zur Verbesserung der Situation von Menschen mit Behinderungen am Arbeitsmarkt in Österreich. https://www.behindertenrat.at/wp-content/uploads/2019/07/strategische-Vorschl%C3%A4ge_2019.pdf (aufgerufen am 11/01/2023)

Behindertenrat (2022): Nationaler Aktionsplan Behinderung: Nicht mehr als Lippenbekenntnisse. https://www.behindertenrat.at/2022/07/nationaler-aktionsplan-behinderung-nicht-mehr-als-lippenbekenntnisse/ (aufgerufen am 11/01/2023)

Bruckner, B. (2019): Umsetzung der Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-BRK) in Österreich, in: Biewer, G. / Proyer, M. (Hrsg): Behinderung und Gesellschaft. Ein universitärer Beitrag zum Gedenkjahr 2018, Wien: Institut für Bildungswissenschaft, Fakultät für Philosophie und Bildungswissenschaft, University of Vienna, S. 163-179

Essl, M. (2021): Warum Menschen mit Behinderung für Unternehmen eine echte Bereicherung sind, in: Sihn-Weber, A. (Hrsg): CSR und Inklusion. Bessere Unternehmensperformance durch gelebte Teilhabe und Wirksamkeit, Berlin, Heidelberg: Springer Berlin Heidelberg, S. 79-95

Wegscheider, A. / Schaur, M. (2019): Arbeit und Beschäftigung von arbeitsmarktfernen Menschen mit Behinderungen in Oberösterreich, SWS-Rundschau, 59 (1), S. 46-65

Moderationsduo von andererseits

Der andere Blick auf „Licht ins Dunkel“

Bild http://andererseits.org/spenden-problem/

„Licht ins Dunkel“ dominiert in der vorweihnachtlichen Zeit, Betroffene kritisieren die Spendenaktion seit Jahren. Nun gibt es endlich die andere Sichtweise auf das „charity „business“.  Das inklusive Onlinemagazin „andererseits“ veröffentlichte eine kritische Dokumentation zur ORF-Spendenaktion.

Das Moderationsduo geht unter Einbeziehung von Aktivist-innen, Expert-innen und Archivmaterial der Frage nach: Wem nützt das Spenden wirklich etwas und warum kritisieren Betroffene seit Jahrzehnten das Spendenformat? „Das Spenden-Problem. Warum Menschen mit Behinderungen die Abschaffung von Licht ins Dunkel fordern“ (29:56 min)

Wir empfehlen hierzu: Paul Longmore Telethons: Spectacle, Disability, and the Business of Charity New York: Oxford University Press, 2016. 

Der US-Historiker und Aktivist Paul Longmore starb 2010. Er hinterlies ein Manuskript über die Wohltätigkeits-Telethons im US-amerikanischen Fernsehen, welches Kolleg-innen aus den Disability Studies vervollständigten und publizierten. Longmore zeigt, dass Telethons viel komplexere Aktivitäten waren, als man bei flüchtiger Betrachtung vermuten würde. Telethons waren einer der Schauplätze, die viele nichtbehinderte Amerikaner und einige behinderte Amerikaner ermöglichten, behinderte Menschen auf oberflächliche Weise darzustellen und sie als Karikaturen ihres Behindertenstatus zu reduzieren. Longmores kritischer Fokus ist nicht nur auf diese Spenden-Fernsehprogramme gerichtet. Er kritisiert die ganze Welt, die hier involviert ist, das gesamte soziale Universum, das Telethons als Phänomen hervorgebracht hat. Aus der Rezension: https://dsq-sds.org/article/view/5388/4478

 

 

 

Das neue Crip Magazine: Disability an der Schnittstelle von Kunst, Kultur und Aktivismus

Von Eva Egermann, Hanna Hacker, Susanne Hamscha

(Foto: eSel.at; Crip Convention 2021, Belvedere 21)

Das in Österreich entstandene Crip Magazine wurde 2011 als Initiative der Künstlerin Eva Egermann ins Leben gerufen. Zwischen 2012 und 2022 erschienen bisher fünf Ausgaben dieses selbstorganisierten Projekts in Print und als barrierefreies PDF online. Druckexemplare wurden bislang in einer Auflage von jeweils 2.000 bis 7.000 Stück produziert, an öffentlichen Orten verteilt und aufgelegt oder als Beilage anderer freier Medienprojekte vertrieben.

Das Crip Magazine verfolgte von Anfang an einen emanzipatorisch-partizipativen Ansatz: Es wollte die historischen Kämpfe der Behindertenrechtsbewegungen in Erinnerung rufen, gleichzeitig aber auch eine kollektive Plattform für die Beiträge von Künstler*innen, Kulturproduzent*innen und Aktivist*innen mit Behinderungen schaffen. Queere und intersektionelle Zugänge prägen den Inhalt mit. Die Zeitschrift beinhaltet ganz diverse Formate; neben den visuellen künstlerischen Arbeiten sind dies Interviews, Essays und viele weitere textuelle Formen. Für die Herausgeberin handelt es sich vor allem um eine „Materialsammlung“, um das vorläufige Festhalten künstlerischer und diskursiver Prozesse, um das Öffentlichmachen von Entwicklungen „im Werden“.

Parallel zur Arbeit an der Publikation organisierte Eva Egermann mehrere sehr spannende Vernetzungsveranstaltungen, Crip Conventions (2017, 2019 und 2021).

Arbeitsprozesse im Blick zurück und nach vorn

2022 fand sich nun im Kontext dieses Netzwerks ein loses Kollektiv zusammen, um das Magazin, das Eva nicht mehr alleine „stemmen“ kann, weiterzuführen und zu klären, ob und wie es mit diesem Projekt weitergeht. Zu dieser Frage der Übergabe und Fortführung haben wir folgendes Gespräch geführt:

Hanna Hacker (H. H.): In den insgesamt zehn Jahren, in denen du immer wieder eine Crip-Magazine-Nummer herausgebracht hast, was hat dich da am meisten „getragen“, was hat dich dranbleiben lassen oder angetrieben?

Eva Egermann (E. E.): Es war circa 2011, als ich so ziemlich in das Feld der Disability Studies eingetaucht bin und das für mich als unglaublich bereichernden, erweiternden und emanzipatorischen Schatz an Theoriebildung entdeckt habe. Ich habe damals das so ziemlich aufgesogen und alles gelesen, was mir unter die Finger gekommen ist, am Anfang vor allem zu der Geschichte der radikalen sozialen Bewegungen um Behinderung in unterschiedlichen Ländern, zum Beispiel Krüppelbewegung und Antipsychiatrie. Diskurse wie „compulsory able-bodiedness“, Ableismus, Disqualifizierung, Diskriminierungsstrukturen und Ungerechtigkeit: Wo kommt das her und welche Antworten gibt darauf aus den interdisziplinären Disability Studies? Die Idee von Normativität galt als eine der wirkmächtigsten Erzählungen der Moderne. Danach habe ich einfach viele Zusammenhänge und Ungerechtigkeiten erkannt und Ableismus bzw. Diskriminierungsstrukturen in auch unmittelbaren Alltagskontexten gesehen. Natürlich vor allem auch in meinem Arbeitsbereich Kunst und Kultur, denn bürgerliche Hochkultur ist von Ableismus durchzogen. Also, ich würde sagen, die Motivation war in erster Linie, dieses Wissen zu teilen, herauszubringen, damit in Kombination Kulturproduktion etwas Neues zu machen. Eine weitere Motivation war es, das Feld an der Schnittstelle von Queer Studies/Disability Studies/Kunst/Kulturproduktion/Aktivismus voranzubringen und an die Radikalität und die Kämpfe zu erinnern. Mit dem Heft wollte ich auch einen gemeinsamen Kontext schaffen und die Beiträge von verschiedenen Kulturproduzent*innen, Autor*innen und Künstler*innen (mit Behinderungserfahrung) aufsuchen und versammeln. Während im Kunstkontext vor allem am Anfang das Magazinprojekt für Verstörung gesorgt hat, erhielt ich im Laufe der Zeit viel positives Feedback von ganz unvorhersehbaren Kontexten, die das Crip Magazine für sich entdeckt haben. Für manche, jüngere Leute war das Crip Magazine auch teilweise eine Art Initiationsmoment, sich kritisch mit Ableismus zu beschäftigen oder in den Disability Studies zu forschen. Zumindest wurde mir das so zurückgemeldet.

H. H.: Was ist oder war für dich ein inhaltliches Highlight der Hefte? Und was ein Highlight im Arbeitsprozess?

E. E.: Da wäre einiges zu nennen. Die Repolitisierung psychischer Gesundheit wurde in der vorletzten Ausgabe thematisiert, die ich in Zusammenarbeit mit der Kunsthalle Wien herausgegeben habe. Das war eine schöne Ausgabe, durch die das das Projekt auch in Wien bekannter wurde. Aber auch andere Schwerpunkte waren besonders, wie zum Beispiel über die Geschichte zweier Pionier*innen im Kampf gegen die Sonderschule um die Jahrhundertwende und die Geschichte von Behindertenorganisationen zu der Zeit. Oder einer Sammlung mehrerer Beiträge die sich mit „crip time“ befassten, im Heft von 2017, und die vielen großartigen künstlerischen Beiträge in allen Ausgaben. Durch die Zusammenarbeit mit verschiedenen Kunstinstitutionen wurden in den letzten Ausgaben vermehrt Fragen von Inklusion und Ableismus in einer von Prekarität und Individualismus geprägten Kunstwelt aufgegriffen. Um nur einige zu nennen. Ein wesentliches Highlight im Arbeitsprozess ist definitiv, wenn die verschiedenen Inhalte der Beitragenden reinkommen und das gemeinsame Heft entsteht. Ein weiterer Höhepunkt ist, wenn man die Inhalte aus dem Heft zum ersten Mal im Layout sieht. Spätestens dann denkt man sich: „Okay, die viele Mühe hat sich ausgezahlt.“

H. H.: Du bist dabei, das Projekt zu übergeben, jetzt stehen wir also in diesem Prozess des Überlegens, was und wie weiter … Wenn du drei „gute Gaben“ weiterreichen könntest, damit das Projekt auch gut weitergeht oder in neuer Form startet, was wären diese drei Gaben?

E. E.: Mut, Gemeinschaftlichkeit und Freude. Das werdet ihr brauchen. Als weitere mögliche Gaben möchte ich Euch einige Methoden, wie beispielsweise „aesthetics of access“ und „elective affinities“ aus dem Crip Magazine mitgeben. Elective Affinities/ Wahlverwandtschaften /Gemeinschaftlichkeit: Wenn man sich den Raum des Crip Magazins als sozialen Raum vorstellt, ist es ein Raum verschiedener Affinitäten und Wahlverwandtschaften (im Donna Harawayschen Sinn). Ziel ist es, Kategorisierungen und Hierarchisierungen entlang unterschiedlicher Binaritäten, Diagnosen und Fähigkeitsstatus nicht weiter zu reproduzieren. Diese Nachbarschaften und Gemeinschaften werden in der vielfältigen Materialität des Magazins sichtbar. So finden wir den Beitrag der Professorin an der Universität Berkeley neben dem Gedicht des Autors, der in einer betreuten Caritas-Werkstatt arbeitet. Die Arbeit des Gugginger Art-Brut-Künstlers neben dem Plakatsujet einer Gruppe von Aktivisten mit Trisomie 21. Der Text eines radikalen Krüppel Autors neben dem Beitrag von Menschen aus der transaktivistischen Szene. Der Beitrag über die amerikanische Crip-Culture-Szene neben einem der Gründer der österreichischen Behindertenrechts- und Independent-Living-Bewegung. Der Beitrag einer Person, die sich als neurodivers identifiziert, neben der Arbeit einer Künstlerin mit Sehbehinderung. Und so weiter. Ziel ist es, Kategorien nicht weiter zu reproduzieren, sondern alle Schubladen für neue Zugehörigkeiten und Nachbarschaften zu öffnen.

Kunst-und-Disabilities-Projekte international

Ein Blick auf andere Projekte, die Kunst und Disabilities verbinden, zeigt uns, wo sich das Crip Magazine international verorten kann. In Großbritannien findet man mit dem Sick Festival seit 2013 ein digitales Archiv von Videos, Podcasts, Blogs und anderen Formaten, in denen die Erfahrungen und Geschichten von Menschen mit Behinderungen festgehalten werden. Angetrieben von der Disability-Community will das Sick Festival Disability durch das Teilen von Wissen und Erfahrungsexpertise in den Fokus öffentlicher Debatten rücken. Dabei setzt das Sick Festival primär auf künstlerische Produktion als Vehikel nicht auf Aktivismus und politischen Diskurs um dieses Ziel zu erreichen, sondern auf künstlerische Produktion: Durch Tanz, Theater, Film, Spoken Word und andere Kunstformen werden Themen mit Disability-Bezug verhandelt und künstlerische Beiträge kommissioniert. Auf der einen Seite soll Kunst die Möglichkeit bieten, Erfahrungen, die nicht in Worte zu fassen sind, authentisch zu vermitteln. Andererseits sollen – ausgehend von der gelebten Erfahrung mit Behinderung – politische Themen und Positionen durch Kunst verhandelt werden.

In den USA gibt es mit dem Disability Visibility Project ein ähnliches Projekt, das zur Sichtbarkeit von Behinderung im öffentlichen Raum beitragen möchte. Das Disability Visibility Project ist eine Online-Plattform, die das kulturelle und mediale Schaffen von Menschen mit Behinderungen dokumentiert, teilt und verbreitet. Begründet wurde das Projekt von Alice Wong, einer Disability-Aktivistin, deren Kommentare in der New York Times, aber auch in der Teen Vogue veröffentlicht werden. Kernstück des Projekts sind Oral Histories, also „verbale Geschichtsschreibung“, d.h. die Aufzeichnung der Leistungen von Menschen mit Behinderungen. Die geschnittenen Interviews sind online abrufbar und stellen somit ein Archiv an Audio-Dokumenten dar, die das Wissen und die Erfahrungen von Menschen mit Behinderungen festhalten. Diese Dokumente stehen für sich und werden weder weiter kommentiert noch kontextualisiert oder in größere Diskurse eingebettet. Der Fokus liegt ganz auf dem individuellen Erfahren des In-Der-Welt-Seins: Behinderung wird nicht aus einer nicht-behinderten Linse betrachtet und bewertet, sondern es werden das Wissen und die Erkenntnis festgehalten, die durch Behinderung generiert werden. Die Interviews werden alle in der Library of Congress archiviert und finden somit Einzug in die kollektive, nationale Geschichtsschreibung. Der Widerstand gegen die Priorisierung nicht-behinderter Perspektiven und Erfahrungen findet dadurch in der Mitte der Wissensdokumentation statt, was für die Legitimation behinderter Perspektiven signifikant ist und signalisiert, dass diese Perspektiven Bedeutung haben.

Sowohl dem Sick Festival als auch dem Disability Visibility Project geht es darum, dass Behinderung in all ihren Facetten als wertvoll angenommen wird. Das britische Projekt Disability Arts Online schlägt ebenfalls in diese Kerbe und ist fast ein Hybrid der anderen beiden Projekte. Disability Arts Online will Produktionen von behinderten Künstler*innen fördern und bietet durch sein Magazin, einen Blog und Social-Media-Kanäle mehrere Plattformen, um Kunst zu präsentieren und Netzwerke zu bilden. Dabei wird ein möglichst breiter Ansatz verfolgt: Editorials, Kommentare, Rezensionen und Interviews werden ebenso publiziert wie Stellenanzeigen und andere Möglichkeiten der Karriereentwicklung. Auch Disability Arts Online verfolgt einen Community-Ansatz und dokumentiert durch Erfahrungsberichte und künstlerische Produktionen das Wissen, das aus Behinderung gewonnen wird. Durch Kommentare, Interviews und kurze Artikel wird das, was aus der Community kommt, in größere Debatten und Diskurse eingebettet und die Verbindung zwischen Kunst, Kultur und Politik herausgearbeitet.

Und jetzt?

Fragen, mit denen wir uns in unserer Crip-Magazine-Redaktionsgruppe derzeit recht dringlich befassen und die wir im Rahmen der Forschungswerkstatt ans Publikum weiterreichten, lauten:

  • Welche Notwendigkeiten, welche Wünsche an ein Kunst-/Kulturmagazin der Disability Studies im deutschsprachigen Kontext können festgemacht werden?
  • Wie kann das Magazin die Sichtbarkeit von Disability-Kunst und -Aktivismus im deutschsprachigen Raum stärken?
  • Wo bestehen Möglichkeiten zur Bündelung von Ressourcen?

Kontakt:

evamariaegermann@gmail.com

hanna.hacker@univie.ac.at

susanne.hamscha@gmail.com

Weiterführende Links:

https://cripmagazine.evaegermann.com/

https://sickfestival.com/

https://disabilityvisibilityproject.com/

https://disabilityarts.online/

Kurzfilm von der ersten Schule für Menschen mit Lernschwierigkeiten

Von der Kretinenanstalt zur Inklusion – ein Kurzfilm informiert über die europaweit erste Einrichtung für Menschen mit Lernschwierigkeiten bis hin zur heutigen Inklusionspädagogik:  „Bildung inklusive“

Die Historikerin Lisa Maria Hofer hat die Geschichte dieser Schule erforscht, im Film sehen wir die Quellen und die Entwicklung. Johannes Hollweger und Sabine Thaler sind junge Menschen mit Lernschwierigkeiten, sie erzählen über Bildung und Ausbildung für Menschen mit Lernschwierigkeiten heute. Robert Schneider-Reisinger von der Pädagogischen Hochschule Salzburg kommt zum Thema Inklusionspädagogik heute zu Wort.

Kretin oder Ketinismus war damals eine Beschreibung eines Krankheitsbildes. Heute wird der Begriff nicht mehr verwendet und als abwertend empfunden. Auch was damals noch großer Fortschritt war, nämlich dass es eigene Unterrichtsanstalten für Menschen mit unterschiedlichen Behinderungen gab, ist heute längst nicht mehr zeitgemäß.

Gotthard Guggenmoos gründete in Salzburg die erste Schule für Kinder mit Lernschwierigkeiten, im Jahr 1816 zunächst in Hallein, sowie mit Gehörschädigung eine private Schule. 1829 wurde die Schule nach Salzburg in die Judengasse 63 verlegt. Die Schule bekam keine öffentliche Förderung. Warum es die Schule gab, lag hauptsächlich am Engagement des Lehrers Guggenmoos.

Siehe: Hofer, Lisa Maria: „Die Schuljugend erscheint […] in Feyertagskleidung, vorzüglich reinlich gewaschen und gekämmt.“ Zwischen Appeasement-Pädagogik und Inklusion im Salzburger Elementarschulwesen von 1810 bis 1830. (Masterarbeit Univ. Salzburg 2018)