Queer

Der Ausdruck „Queer“ ist im Zuge der AIDS Krise im englischen Sprachraum Ende der 1980er Jahre einflussreich geworden. Unter dem Umbrella-Term „Queer“ organisierten sich alle, die sich gegen den menschenverachtenden und vorurteilsvollen Umgang mit AIDS und von an AIDS erkrankten Personen wehrten.

Queer“ bedeutet seiner Herkunft nach im amerikanischen Englisch so viel wie „seltsam“, „sonderbar“, „leicht verrückt“, aber auch „gefälscht“ oder „fragwürdig“. Außerdem kennzeichnet „Queer“ im amerikanischen Englisch umgangssprachlich ein homophobes Schimpfwort. D.h. Homosexuelle werden in der amerikanischen Alltagssprache mit diesem Begriff als sonderbar oder leicht verrückt bezeichnet. Ähnlich wie der Ausdruck „Krüppel“ in der modernen Behindertenbewegung stellt „Queer“ einen Versuch dar, ein verletzendes und abwertendes Wort emanzipatorisch umzudeuten und politisch neu anzueignen. Die frühe Behindertenbewegung benutzte den negativen Ausdruck „Krüppel“ für einen politisierten Behinderungsbegriff, der eine radikale Umkehrung anstrebte und für eine positive Aufladung von Behinderung stand. Zu dieser Zeit entstand die Krüppelbewegung. Der Begriff „Krüppel“ wurde indes von der Behindertenbewegung später aufgegeben, stattdessen wurde der Ausdruck „Selbst Bestimmt Leben“ –Bewegung benutzt. Im Gegensatz dazu konnte sich der Terminus „Queer“ als wissenschaftlicher Ansatz und als eine politische Form des Bewegungsaktivismus etablieren.

Queer Studies“ wenden sich gegen Beschränkungen von Sexualität auf Heterosexualität und Beschränkungen von Geschlecht auf Zweigeschlechtlichkeit

Überschneidungen zwischen Queer Studies und Disability Studies sind in der Hauptsache im körpertheoretischen Bereich zu finden: Sowohl die Queer Studies und als auch die Disability Studies fokussieren auf soziokulturelle Unterscheidungsweisen von Körpern. Beziehen sich die Queer Studies hierbei auf kulturell ausgeschlossene und verworfene Körper sexueller und geschlechtlicher Existenzweisen, so bilden die Variationen ausgeschlossener Körper, die gemeinhin in unserer Kultur als behindert bezeichnet werden, das Forschungsfeld der Disability Studies. Gemeinsam sind beiden Forschungsausrichtungen darüber hinaus ihre Herkunft aus und ihre enge Verflochtenheit mit den jeweiligen sozialen Bewegungen. So sind die Queer Studies im Kontext der emanzipatorischen Lesben und Schwulen- sowie Transsexuellenbewegung entstanden; die Disability Studies haben sich wiederum aus der modernen Behindertenbewegung heraus entwickelt. Des Weiteren werden in den Queer Studies ebenso wie in den Disability Studies die medizinische Definitionsgewalt über Körper bzw. Körperzustände und die damit verbundenen kulturellen Normen und Normalisierungsprozesse in Frage gestellt. Ausgehend davon stellen die Queer Studies die herkömmliche Unterscheidung in Homosexualität und Heterosexualität in Frage. Sie wenden sich  zudem auch gegen Beschränkungen von Sexualität auf Heterosexualität und Beschränkungen von Geschlecht auf Zweigeschlechtlichkeit.

Sexualität wird vielmehr als sozial, kulturell und politisch konstruiert verstanden. Die Queer Theorie beschäftigt sich mit der Wirkung von gesellschaftlichen Sexualitätsverhältnissen und darin eingelagerten heteronormativen Macht- und Herrschaftsformen. Hingegen steht die Unterteilung von körperlicher Differenz entlang von behindert/nicht-behindert in den Disability Studies auf dem Prüfstand. Behinderung, wie Nicht-Behinderung, wird in den Disability Studies stattdessen als machtvolles gesellschaftliches Strukturprinzip und Konstrukt verstanden. Demzufolge ist für beide Forschungsausrichtungen der Körper keine vorsoziale Gegebenheit, sondern Produkt und Produzent von Gesellschaft.

Mit anderen Worten: Aufgrund seiner begriffsgeschichtlichen Herkunft und theoretischen Verortung ist „Queer“ eine soziokulturelle Theoretisierung zu Homosexualität und Transgender. Mit Bezug darauf steht „Queer“ für vielfältige, fluide, kontingente und geschlechtliche Uneindeutigkeit. Genau aus diesem Grund kann „Queer“ mühelos auf andere Formen ontologischer oder körperlicher Abweichung ausgeweitet werden, wie eben z.B. Behinderung. Queering Disability ermöglicht ein Verständnis von Behinderung im Sinne einer hybriden Seinsweise und verkörpert -buchstäblich – einen kulturellen Behinderungsbegriff. Die daraus resultierende Crip Theory stellt die kritische Aneignung der paradigmatischen Grundlagen der Queer und Disability Studies dar.

von Heike Raab

Literatur:

Degele, Nina: Gender/Queer Studies. Eine Einführung, München 2008.

Goodley, Dan, Bill Hughes, Lennard Davis (eds.): Disability ands social Theory. New Develpoments and directions, PALGRAVE Macmillan 2012.

Hark, Sabine, Queer Intervention. In: Feministische Studien 11, Heft 2, 1993, S. 103–109.

Jagose, Annamarie: Queer Theory. Eine Einführung. Querverlag, Berlin 2001.

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McRuer, Robert/Wilkerson, Abby L.: „Desiring Disability: Queer Theory Meets Disability Studies“, in: GLQ – A Journal of Lesbian and Gay Studies, 1-2 (2003), S.1-23.

McRuer, Robert: Crip Theory. Cultural Signs of Queerness and Disability, New York University Press 2006.

McRuer, Robert/Mollow, Anna, Sex and Disability. DUKE University Press 2012

Raab, Heike, Cripping the Visual: Visual Politics in Crip Queer Activism, in: Evely Kilian, Elahe Haschemi Yekani, Beatrice Michaelis (Hg.), Queer Futures: Reconsidering Normativity, Activism and the Political, ASHGATE PUBLISHING LIMITED 2012

Shildrick, Margrit, Dangerous Discourses of Disability, Subjectivity and Sexuality, PALGRAVE McMillan 2012