Ein sozial-ökologisches Inklusionsmodell für die Urbane Landwirtschaft in Wien

Von Sophie Schaffernicht

Die Zielgruppe der Dissertation,eingereicht an der BOKU, mit dem Titel „Inklusion von Menschen mit Behinderungen in der Urbanen Landwirtschaft in Wien“ waren Menschen, die in Tagesstrukturen arbeiten und betreut werden. Diese Personen fehlen weitestgehend in den Diskussionen über urbane Landwirtschaft, obwohl landwirtschaftliche Tätigkeiten unter bestimmten Umständen viele positive Effekte haben können. Verschiedene Programme im städtischen Gartenbau konnten beispielsweise in der Vergangenheit den Weg auf den Ersten Arbeitsmarkt ebnen. Für die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention – insbesondere der Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen – sind Bildung und Arbeit zentrale Punkte. Menschen mit Behinderungen sind jedoch gegenwärtig oft von diesen Bereichen ausgeschlossen und werden an einer wirklichen Teilhabe an der Gesellschaft gehindert. In dieser Studie wurde hauptsächlich nach den Hindernissen für Inklusionsprozesse im Gartenbau Ausschau gehalten. An einem Pilotprojekt zu urbaner Landwirtschaft und Inklusion in Wien nahmen eine Universität, drei Sozialeinrichtungen mit sieben Mitarbeiter*innen, zwei Gartenbaubetriebe mit zwei Betriebsleiter*innen sowie fünfzehn Menschen mit Behinderungen teil. Aktionsforschung wurde im Rahmen der Tomatenernte wissenschaftlich begleitet und dabei evaluiert sowie modifiziert. Zur gleichen Zeit war die Autorin bestrebt einen Beitrag im Sinne der Grounded Theory zu leisten. Eine mögliche Lösung für künftige Studien ist das Miteinbeziehen von Co-Forscher*innen (Menschen mit Behinderungen), um Forschung im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention inklusiv zu gestalten. Angebote im Bereich der urbanen Landwirtschaft sollten über reine Kooperationen zwischen Sozialeinrichtungen und Gartenbaubetrieben hinausgehen. Ein sozial-ökologisches Szenario mit agrarökologischen Inklusionsbetrieben erscheint sinnvoll. Die Etablierung mehrerer solcher Inklusionsbetriebe im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention in Wien könnte die Stadt den Zielen der nachhaltigen Entwicklung ein Stück näherbringen.

Bild oben: Lebenshilfe Wien

Sophie Schaffernicht

MellowYellow – Soziale Wirkung durch Kunst

MellowYellow Interventionen in einer Schule

Von Alfons Bauernfeind (Institut für partizipative Sozialforschung, Wien), über seinen Beitrag präsentiert in der DiStA-Forschungswerkstatt:

Das Projekt MellowYellow verfolgt das Ziel, mit künstlerischen Methoden Diversität, Inklusion und künstlerische Offenheit als selbstverständliche Praxis in Österreichs Schulen zu etablieren. MellowYellow vermittelt in der Tanzkunstszene anerkannte Mixed-Abled Künstler*innen Teams an Schulen, um Aktionstage bzw. Aktionswochen abzuhalten.

Die beiden Formate bestehen aus drei unterschiedlichen Interventionen (Informance, bewegte Gespräche, Resonanztreffen), die darauf abzielen, dass Lehrkräfte und Schüler*innen ihre Einstellungen über Menschen mit Behinderungen reflektieren und neu bewerten. Das Wissen über das Alltagsleben von Menschen mit Behinderungen soll aufgebaut und Unsicherheiten im Umgang abgebaut werden. Dadurch könnten neue und diversere Vorbilder entstehen, da Menschen mit Behinderungen als Führungspersonen wahrgenommen werden. Lehrer*innen entdecken neue künstlerische Methoden, die sie in die Schulpraxis einführen könnten, Schüler*innen finden einen neuen Zugang zu Kreativität und ihrem Körperempfinden.

MellowYellow hat seit 2017 bis zum Ausbruch der Covid-19 Pandemie 3.039 Schüler*innen in 148 Klassen von 80 Schulen erreicht. Um die Corona-bedingte Unterbrechung der Schulaktivitäten produktiv zu nutzen, wurde der Aktivitätsschwerpunkt des Jahres 2020 auf die soziale Wirkungsmessung gelegt.  Es wurde ein Wirkungsmodell (IOOI-Modell nach Phineo, Kurz und Kubek 2017) auf Basis von MellowYellow internen Workshops erstellt und 21 Leitfaden-gestützte Telefoninterviews mit Lehrkräften durchgeführt, die zwischen 2017 und 2020 MellowYellow Interventionen in ihren Schulen erlebt haben. Die Auswertung und inhaltliche Codierung der Interviews erfolgten im Vier-Augen-Prinzip. Sie wurde gemäß der Inhaltsanalyse nach Mayring (2015) vorgenommen. Neben qualitativen Auswertungen wurden auch frequenzanalytische Auszählungen durchgeführt.

Alfons Bauernfeind studierte (Musik-) Soziologie in Wien. Seit 2013 ist er freischaffender Soziologe und Musiker, Mitbegründer des Instituts für partizipative Sozialforschung (2016) sowie der measury Sozialforschung OG (2018) und Leiter einer Forschungswerkstatt an der FH für Soziale Arbeit Wien (2021). Seine Arbeitsschwerpunkte sind soziale Wirkungsmessung und partizipative Begleitforschung von sozial- innovativen Unternehmungen.

 

Erste „Taubstummenanstalt“

Das Linzer Taubstummeninstitut (1812 – 1869) – Ein Forschungsprojekt

Lisa Maria Hofer (Institut für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Johannes Kepler Universität Linz) über ihren Beitrag präsentiert in der DiStA-Forschungswerkstatt:

Das staatliche Schulsystem entstand an der Schwelle zum 19. Jahrhundert und hatte vorwiegend militärische und wirtschaftliche Ziele im Blick. Zudem war es notwendig, in einer komplexer werdenden Welt die Kulturtechniken Lesen, Schreiben und Rechnen zu beherrschen. Das unterfinanzierte Regelsystem wurde jedoch vor die Herausforderung gestellt, Schüler:innen zu beschulen, die unter einer Beeinträchtigung litten, was anderer Methodiken bedurft hätte. Die vollständige Durchsetzung der Schulpflicht gelang erst im Laufe des 19. Jahrhunderts, denn grundsätzlich waren dazu keine Ausnahmen aufgrund einer vorliegenden Beeinträchtigung vorgesehen. Im Laufe des ausgehenden 18. und der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstanden zahlreiche Schulen, die später als Sonderschulen oder Hilfsschule bezeichnet wurden, die Schüler:innen zusammenfassten, die unter ähnlichen Beschwerden litten. Zu nennen sind dazu zahlreiche Taubstummenanstalten, die Blindeninstitute und die sogenannten Kretinenanstalten[1], letztere waren jedoch mit einer Salzburger Ausnahme in der Habsburgermonarchie als Verwahranstalten konzipiert.

Das Taubstummenunterrichtswesen, wie es die Forschung häufig bezeichnet, nahm ihren ersten Aufschwung im Spanien der Renaissance und fand in Südeuropa immer mehr Anhänger, was schließlich den ersten Höhepunkt in der staatlichen Gründung der Taubstummenschule von Abbé l’Epée in Frankreich hatte. Von dort aus fand die Beschulungsmethode ihren Weg in die Habsburgermonarchie und bildete mit dem Wiener Taubstummeninstitut 1779 den Ankerpunkt für alle Institutsgründungen in der Monarchie: Das Linzer Taubstummeninstitut wurde in Linz 1812 von Michael Reitter, einem Priester, gegründet und besteht in veränderter Form bis heute (2022) als eine Mittelschule unter dem Namen des Gründers. Als die Schule 1812 eröffnet wurde, gab es keine verbindlichen staatlichen Vorgaben für den pädagogischen Umgang mit Kindern und Jugendlichen, die gehörlos waren. Dennoch war es in Taubstummeninstituten der Monarchie ein ungeschriebenes Gesetz, sich mit der Anstalt in Wien zu vernetzen. Was sich daraus ergab, waren private Initiativen, die oft im Rahmen eines kirchlichen Engagements integriert wurden, was auch auf das Fallbeispiel in Linz zutrifft.

Michael Reitter organisierte den Unterricht anfangs als Nebentätigkeit zu seinem Hauptberuf als Priester und entwickelte die Idee zu seiner Schule aus dem von ihm abgehaltenen Firmunterricht. Später ließ er sich in Wien am Taubstummeninstitut ausbilden und pflegte umfassende Netzwerke zu finanziell-potenten Partner:innen und der Kirche selbst. Außerdem schrieb er ein breit rezipiertes Methodenbuch zum Unterricht von sogenannten Taubstummen, wie er selbst seine Schüler:innen bezeichnete. 1818 übergab er nach einer Versetzung als Priester die Leitung an Michael Bihringer, der die Schule in der pädagogischen Ausrichtung nicht maßgeblich veränderte und weiter die Methode nach Reitter anwenden ließ. Ihm folgte schließlich 1831 Johann Aichinger, der sich vermehrt wissenschaftlich betätigte und auch großen Einfluss im oberösterreichischen Landtag hatte. Zudem leitete er auch das neu gegründete Heim für sogenannte „Kretinen“ in Hartheim. Als Johann Aichinger 1864 verstarb, folgte ihm Johann Brandstätter, der in Berichten als kränklich beschrieben wird und wenig am Institut veränderte und die Leitung bis 1888 innehatte.[2]

Erste „Taubstummenanstalt“

Das ehemalige „Siechenhäusel“ wird zur „Taubstummenanstalt“  (https://michaelreitter.eduhi.at/)

Partizipatorischer Ansatz in historischer Forschung

Um die Kategorie Behinderung entsprechend behandeln zu können, und dem Problem der fehlenden Quellen aus der Perspektive der Betroffenen entgegenzuwirken, sollen hier umfassende Vorüberlegungen und Reflexionen darüber angestellt werden, wie eine partizipative Geschichtsforschung aussehen kann und welche Faktoren es im Vorfeld, in der Durchführung zu bedenken gilt.[3]

Primäre Intention des Projekts ist es, Betroffene in die historische Forschung miteinzubeziehen und keine Geschichte über das Phänomen der Behinderung zu schreiben, sondern eine reale Einbindung in die Diskursgeschichte zu schaffen. Mit der Einbindung des OÖ Gehörlosenverbandes, soll verstärkt dessen Perspektive in die historische Forschung zu Gehörlosen eingebracht werden. Es ist für die Teilnahme am Workshop nicht erforderlich, dass die Teilnehmer:innen in der historischen Arbeit geschult, sind, oder umfassendes Vorwissen zum Gegenstand mitbringen, es geht vor allem um ihre persönlichen Erfahrungswelten, die sie mit den vergangenen Ereignissen in Beziehung setzen. Die Leitfrage in der gemeinsamen Arbeit an den Quellen ist: Welche Ähnlichkeiten/Unterschiede kann ich im Vergleich zu meinem Leben feststellen?

Die Teilnahme am Forschungsdiskurs von Betroffen bringt auch die Forschung der angestrebten Dissertation auf ein qualitativ hochwertigeres Niveau und kann in weiterer Folge einer politischen Diskussion als Grundlage dienen, die sich auch in der Gegenwart für Inklusion stark macht. Zunächst ist die Frage zu klären, wann im Rahmen einer historischen Forschung der geeignete Zeitpunkt ist, um Mitforschende einzubeziehen. Unter Mitforschenden wird in diesem Zusammenhang eine Personengruppe verstanden, die von Gehörlosigkeit betroffen ist und durch diese Betroffenheit differenzierte Interpretationsansätze für die historischen Quellen liefern kann. Dies muss erst nach Sichtung und erster Verortung der Quellen sinnvoll sein.[4]

Das Ziel des Teilprojektes der Dissertation ist es, dass der Kreis der Interpretatoren einer historischen Quelle erweitert wird und sogenanntes Systemwissen generiert wird. Durch dieses Systemwissen rund um die Interpretation, soll die Entwicklung und der lebensweltliche Bezug eines historischen Problems gezeigt werden. Dadurch wird eine Systemdarstellung angestrebt, die der Perspektive der Betroffenen einen Part in der Geschichtsschreibung zugesteht.[5]

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Reaktionen zum Entwurf des Nationalen Aktionsplans Behinderung (2022-2030)

Behinderungssymbol durchgestrichen

Quelle: Pixabay, user: chariflax

Mit der Unterzeichnung des Übereinkommens über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-BRK) hat sich Österreich zu deren Umsetzung und zur Wahrung der Rechte für Menschen mit Behinderungen verpflichtet. Die von Österreich angewendete Strategie zur Umsetzung wird in Nationalen Aktionsplänen festgehalten. Diese werden vom Sozialministerium in Kooperation mit den anderen Bundesministerien und unter Partizipation der Zivilgesellschaft, allen voran Organisationen für Menschen mit Behinderungen, erstellt. Der erste NAP 2012-2020 wurde 2012 veröffentlicht und anschließend heftig diskutiert. Nun liegt ein Entwurf für den Nationalen Aktionsplan 2022-2030, erstellt vom Bund mit Beteiligung der Länder und z.T. von Behindertenorganisationen, vor, der noch im Spätsommer vom Ministerrat beschlossen werden soll.

Zahlreiche Behindertenrechtsorganisationen, wie der Unabhängige Monitoringausschuss zur Überwachung der Einhaltung der UN-BRK, die Selbstbestimmt Leben Initiative Österreich (SLIÖ), der Behindertenrat sowie die Behindertenanwaltschaft haben bereits heftige Kritik geübt. Ein Video der Pressekonferenz ist hier einsehbar. Martin Ladstätter, Präsidiumsmitglied Österreichischer Behindertenrat und Obmann von BIZEPS – Zentrum für Selbstbestimmtes Leben nennt den Entwurf eine Dokumentation des Scheiterns und vergleicht ihn mit einem Auto mit mehreren Lenkrädern aber ohne Motor und Getriebe – ein Totalschaden. Er appelliert an die Politik, das Ruder nochmal rumzureißen.

In einer ausführlichen Analyse der einzelnen Kapitel kritisiert der Monitoringausschuss immer wieder die fehlende Kohärenz zwischen formulierten Zielen und den dazu vorgeschlagenen Maßnahmen, welche oft nicht geeignet scheinen, um die ersteren zu erreichen. Auch seien viele Ziele, Maßnahmen, Begriffe und Indikatoren oft vage, schwammig, unklar oder lückenhaft definiert bzw. formuliert.

Am Erstellungsprozess wird vielfach kritisiert, dass die erarbeiteten Vorschläge und Papers der Behindertenorganisationen zu wenig beachtet bzw. diese nur wenig in die tatsächliche Bearbeitung eingebunden wurden, obwohl die UN-BRK deren Mitwirkung vorsieht. Markus Neuherz, Generalsekretär der Lebenshilfe Österreich meint:

„Unsere Meinung ist gefragt, aber wenn sie nicht gefällig ist, wird sie ignoriert. Tatsächliche Mitbestimmung ist wohl unerwünscht.“

Ein genereller Kritikpunkt ist die fehlende finanzielle Grundlage der im Plan vorgesehenen Maßnahmen. Um sicherzustellen, dass die Maßnahmen Österreicher*innen mit Behinderungen unabhängig von ihrem Bundesland zukommen, wird vielfach ein nationaler Inklusionsfond oder einer andere Zweckwidmung der finanziellen Ressourcen gefordert. Der Behindertenanwalt Hansjörg Hofer meint.

„Ohne eine konkrete und verbindliche Aussage des Bundes und der Länder zur monetären Bedeckung des NAP ist er das Papier nicht wert, auf dem er gedruckt wird! Wir fordern daher die Schaffung eines Inklusionsfonds, zu dem der Bund und alle Länder beitragen; 500 Mio € jährlich für die 1,4 Mio Menschen mit Behinderungen in Österreich“

Beim Thema Inklusive Bildung werden sogar Rückschritte im Vergleich zum NAP 2012-2020 konstatiert und die Empfehlungen in Zuge dessen Evaluierung wären nicht berücksichtigt worden. Die Diakonie Direktorin Maria Katharina Moser meint:

„Es fehlen konkrete Zahlen, zum Beispiel für eine Erhöhung der inklusiven Schulplätze in den kommenden Jahren und den Rückbau der Sonderschulen. .. Bearbeitung der offenkundigen Missstände wird auf die Jahre ab 2030 verschoben, das ist zu spät“.

Dies sei aber notwendig, damit Kinder mit und ohne Behindrung bald gleichermaßen und mit den gleichen Chancen am Bildungssystem teilnehmen können.

verschiedene Arten von Behinderungen

Quelle: Pixabay, user: María_Alberto

Ebenfalls Rückschritte werden in Bezug auf das Ziel der De-Institutionalisierung, welches für das selbstbestimmte Leben von Menschen mit Behinderungen von zentraler Bedeutung ist, moniert. Bereits das UN-Monitoringkomitee hat in seinem Report größerer Anstrengungen von Österreich diesbezüglich gefordert. Laut Monitoringausschuss wurde jedoch in den letzten Jahren im Gegensatz dazu der Ausbau von segregierenden Heimplätzen vorangetrieben – nötig wären jedoch der Ausbau von Persönlicher Assistenz sowie die Schließung von Heimen. Auch Caritas Direktor Michael Landau findet, dass

„die Persönliche Assistenz eine Schlüsselrolle in der Selbstbestimmung und gesellschaftlichen Teilhabe von Menschen mit Behinderungen spielt“.

Deswegen müsse man jetzt auf der Grundlage vorhandener Pilotprojekte handeln:

“Es ist sehr viel Zeit vergangen, seit Österreich die UN-Behindertenrechtskonvention unterzeichnet hat. Das theoretische Wissen zu Verbesserungen ist vorhanden, einzig der mutige Wille zur praktischen Umsetzung fehlt in diesem NAP“, so Landau.

Weitere Kritikpunkte umfassen unter anderem die Ausführung über die Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen sowie die Ausklammerung bzw. geringe Berücksichtigung der Situation von Frauen, Mädchen, Eltern oder LGBTQI+ Personen mit Behinderungen.

Die Stimmung der Reaktion auf den NAP Entwurf zusammenfassend hält die Vizepräsidentin der Lebenshilfe Österreich Hanna Karat fest, dass Behindertenorganisationen drei Jahre versucht haben, sich in den Erstellungsprozess einzubinden. Dennoch enstspreche der NAP Entwurf nicht den Inhalten der UN-BRK, zu denen sich Österreich verpflichtet hat:

„Unserer Geduld ist am Ende. Ich frage mich, ob wir mit den Rollstühlen vor den Regierungsgebäuden auf der Straße stehen müssen, damit wir endlich zu unseren Rechten kommen“

Die SLIÖ lehnt in ihrer Stellungnahme den NAP Entwurf ab und meint dazu:

„Er enthält auf 147 Seiten zu wenig strukturbildende Maßnahmen im Sinne der UN-BRK. Es fehlen Maßnahmen zur Rücknahme von Verschlechterungen, institutionelle und strukturelle Diskriminierungen werden nicht oder nicht ausreichend bekämpft.“

Klaus Wild, Vizepräsident des Behindertenrats hofft noch auf ein Einlenken der Politik, mahnt aber:

„Sollten unsere Menschenrechte weiterhin ignoriert werden, sind wir Menschen mit Behinderungen erstmals seit vielen Jahren wieder gezwungen, auf die Straße zu gehen, um für ganz normale Menschenrechte, zu denen sich Österreich schon vor 14 Jahren bekannt und verpflichtet hat, zu demonstrieren“

Anbei Links zu den diversen Stellungnahmen, welche auch die Quelle für die oben angeführten Zitate darstellen. Am umfangreichsten ist die Stellungnahme des Monitoringausschusses. Zudem werden auch Links zur genannten Pressekonferenz sowie zu diversen Zeitungsartikeln zum Thema angeführt.

Weiterführende Links

Mundstab

Behindert werden – beteiligt werden

Waltraud Ernst (Institut für Frauen- und Geschlechterforschung, Johannes Kepler Universität Linz) über ihren Beitrag präsentiert in der DiStA-Forschungswerkstatt:

Menschen werden in unserer Gesellschaft unter vielerlei Umständen vielfach behindert. Kann die Beteiligung von Menschen mit Behinderungen an interdisziplinären Erkenntnisprozessen zu selbstbestimmterer Lebensgestaltung und gesellschaftlicher Teilhabe beitragen?

Prozesse der Diskriminierung zu erforschen, anstatt persönliche Merkmale in den Blickpunkt zu rücken, fordern aktuelle Ansätze der Disability Studies. Queer-feministische und intersektionale Perspektiven erforschen Behinderungen als soziale Praktiken und sozial legitimierte Prozesse (Ernst 2021). Schon in den 1980er-Jahren entstand ein kollaboratives Buch von behinderten Frauen. Darin wird das Ineinanderwirken von Behinderung und Geschlecht untersucht. Ein bis heute innovativer Forschungsansatz des „Forschens mit“ bzw. ein im heutigen Sinne autoethnografischer Ansatz des Selbstbeforschens und des Selbstschreibens wird hier einem Ansatz des „Forschens über“ vorgezogen (Boll et al. 1988). Seit den 1980er-Jahren konnten sich die Disability Studies auch im deutschsprachigen Raum als universitäre Disziplin etablieren. Intersektionale Aspekte von Behinderung und Geschlecht konnten weiter erforscht werden (DiStA – Disability Studies Austria 2018). Sowohl Geschlecht als auch Behinderung werden hier als gesellschaftliche Konstrukte verstanden, die im Alltag, im Austausch mit anderen Menschen und Institutionen ständig hergestellt, gefestigt oder transformiert werden (Jacob et al. 2010).

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Konzeptionalisierung von Behinderung – Die drei Dimensionen des Gesamtphänomens Behinderung

Matthias Forstner trug im Rahmen der 1. Österreichischen Online Inter- und Transdisziplinäre Dis/Ability-Forschungswerkstatt Kurzimpulse am 13. Mai 2022 aus seiner bisherigen Dissertationsforschungen zum Thema Konzeptionalisierung und Modelle von Behinderung vor. Es folgt eine Schilderung dieses Vortrags vom Autor selbst.

Der Begriff „Behinderung“ wird in verschiedenen Kontexten unterschiedlich verwendet. Da die Definition für die Betroffenen und den Umgang mit ihnen sehr relevant ist, wird sie auch heftig diskutiert.

„Behinderung ist ein multidimensionaler Begriff, der multiprofessionell verwendet wird, und dies macht eine Auseinandersetzung mit dem Thema so unübersichtlich. Bei seiner Verendung begibt man sich relativ schnell auf ein semantisches Minenfeld“ (Egen, 2020, S. 55).

Die Disability Studies haben die Unterscheidung zwischen zwei grundsätzlichen Zugängen eingeführt, die auch Tale of Two Models genannt wird.

 

Individuelle Modelle Soziale Modelle

Hierzu zählen vor allem biomedizinische Modelle, die Behinderung als biomedizinische Abweichung des Individuums sehen und also mit Beeinträchtigungen gleichsetzen.

Diese Modelle – u.a. Britisches Soziales Modell (Oliver, 1996) – sind die große Idee der Disability Studies. Sie haben die Wurzeln in der Behinderungsbewegung, z.B. UPIAS. Es wird Abgrenzung zwischen Beeinträchtigung und Behinderung vorgenommen.

 “disability is something imposed on top of our impairments, by the way we are unnecessarily isolated and excluded from full participation in society” and “is therefore a particular form of social oppression” (UPIAS, 1975)–

Mit Ausdifferenzierung der Disability Studies kam jedoch auch innerhalb dieses Feldes eine Kritik am alleinigen Fokus auf die soziale Ebene auf, u.a. wurde kritisiert.

  • Ausblendung von Körper/Leib (Hughes & Paterson, 1997)
  • Ausblendung leiblicher Erfahrungen wie Schmerz, Müdigkeit (Morris, 1993)
  • Ausblendung von realen Beeinträchtigungseffekten (Thomas, 2012)
  • Ausblendung von Aspekten der Identität (Swain & French, 2000)
  • Ausblendung von psycho-emotionalen Folgen des Disablismus (Reeve, 2012; Watermeyer & Swartz, 2016)

Um diesen Kritikpunkten gerecht zu werden, ohne die unbestreitbaren Fortschritte durch die soziale Sicht auf Behinderung aufzugeben wurde von Forstner (2022) die in der Gesundheitssoziologie gebräuchliche Unterscheidung zwischen den drei Dimensionen disease, illness und sickness (Hofmann, 2016; Marinker, 1975) des Krankheitsphänomens auf das Gesamtphänomen angewendet. Dieses als Biophänomenosoziale Modell von Behinderung bezeichnete Framework wurde in einem Artikel der Zeitschrift für Disability Studies dargelegt.

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Bildung inklusive

Filmpremiere, Vortrag und Gespräch am Di, 5. Juli 2022, 18 bis ca. 19:30 Uhr in Schloss Mirabell, EG, Pegasus-Zimmer, Eingang 7, Salzburg

Einladung zur Premiere des Kurzfilmes über die europaweit erste Einrichtung für Menschen mit Lernschwierigkeiten – die damals sogenannte „Kretinenanstalt“.

Lisa Maria Hofer hat die Geschichte dieser Schule erforscht, im Film werden Quellen gezeigt, sie erzählt im Vortrag darüber. Der Film zeigt auch, wie sich Inklusionspädagogik entwickelt hat.

Barrierefrei zugänglich, auf Wunsch Übersetzung in Gebärdensprache möglich. Eintritt frei. Eine Veranstaltung im Monat der Vielfalt: www.stadt-salzburg.at/monatdervielfalt

Lesetipp für alle die mehr über die Geschichte von Menschen mit Lernschwierigkeiten in Salzburg lesen wollen: Inghwio aus der Schmitten: Schwachsinnig in Salzburg. Zur Geschichte einer Aussonderung Verlag UMBRUCH. WERKSTATT für Gesellschafts- und Psychoanalyse, Salzburg 1985, bidok – Volltextbibliothek: Wiederveröffentlichung im Internet: http://bidok.uibk.ac.at/library/schmitten-schwachsinnig.html

Ein geöffneter Laptop neben einem Bücherstapel. Am Display wird die erste DiStA Forschungswerkstatt angekündigt.

Kurzzusammenfassung der 1. Online Dis/Ability-Forschungswerkstatt

Am 13.5.2022 fand zum ersten Mal die Österreichische Online Inter- und Transdisziplinäre Dis/Ability-Forschungswerkstatt statt. Ziel der Veranstaltung war vor allem die Vernetzung zu vielfältigen Projekten im Bereich der emanzipatorischen Behinderungsforschung in Österreich. Bis zu 40 Personen nahmen an der Veranstaltung teil, brachten sich in rege Diskussionen ein und verfolgten die Beiträge der Vortragenden aus einer Vielzahl von Disziplinen.

Waltraud Ernst nahm in ihrem Beitrag einen intersektionalen Zugang zur Behinderungsforschung ein und berichtete über Herausforderungen in der Technikforschung zu Assistenzmitteln.

Matthias Forstner stellte in Anlehnung an medizinsoziologische Zugänge ein biophenomenosoziales Modell von Behinderung vor, anhand dessen er die kritische Einordnung und Analyse von Klassifikationssystemen erläuterte.

Lisa Maria Hofer berichtete von ihrem Vorhaben, Methoden der Disability History mit einem partizipativen Zugang zu kombinieren. Im Fokus ihrer Forschung stand die Geschichte des Linzer ‚Taubstummeninstituts‘ von 1818-1919.

Alfons Bauernfeind berichtete von einer Auftragsforschung zum Projekt Mellow Yellow, in dem von mixed-abled dancers durchgeführte Workshops mit Schüler*innen partizipativ evaluiert werden. Umgesetzt wurde dies als Wirkungsanalyse.

Claudia Sorger und Michaela Joch berichteten in ihrem Beitrag vom partizipativen Forschungsprojekt Weniger Barrieren – Mehr Wien, das zusammen mit Peer-Expertinnen und in Kooperationen mit zahlreichen Interessensvertretungen von Menschen mit Behinderungen durchgeführt wurde.

Sophie Schaffernicht trug aus Sicht der Agrarökologie zur Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen in der urbanen Landwirtschaft in Wien vor und brachte damit u.a. erste Überlegungen zu den Möglichkeiten und Grenzen von Volontariaten in der Landwirtschaft ein.

Hanna Hacker und Eva Egermann präsentierten ihren gemeinsamen Beitrag mit Susanne Hamscha zum neuen Crip Magazine und nahmen damit Dis/Ability aus einer künstlerisch-aktivistischen Perspektive in den Blick. Sie berichteten u.a. von den Prozessen einer Redaktionsgründung des Crip Magazine sowie ressourcentechnischen Herausforderungen.

Wir danken allen Teilnehmenden und Vortragenden für die gemeinsame Veranstaltung und planen für das Sommersemester 2023 eine Wiederholung.

Das Organisationsteam,

Angela Wegscheider, Andreas Jeitler, Volker Schönwiese und Rahel More

Vortrag: Eine queere Perspektive auf Behinderung* (31.05.2022)

Im Rahmen der Vortragsreihe „Dis/Ability der Gegenwart und der Zukunft –   Perspektiven der Behindertenbewegung und der Disability Studies“   hält Elisabeth Magdlener einen online Vortrag zu „Eine queere Perspektive auf Behinderung* “ am Dienstag, 31.05.2022 von 18:00h-19:30h.

In den letzten Jahrzehnten entwickelte sich im anglo-amerikanischen Raum ein Forschungszweig von Betroffenen für betroffene Aktivist_innen, Theoretiker_innen und ihre Mitstreiter_innen: die Queer DisAbility Studies. Sie haben sich aus der Verknüpfung von Gender- und Feminist Studies sowie Disability Studies herausgebildet. Der Beitrag soll eine Annäherung an Queer DisAbility-Denkungsweisen sein. In einer kulturwissenschaftlichen Herangehensweise setzt sich Elisabeth Magdlener gesellschaftsanalytisch mit Normierungsstrukturen, Macht- und Gewaltverhältnissen auseinander, die in unserem normierenden Gesellschaftssystem verankert sind. Sie skizziert, wie diese einer Gleichberechtigung von Menschen mit Behinderung* im Wege stehen. Des Weiteren wird ein Blick auf Verwobenheiten in Bezug auf Queerness und Behinderung gerichtet. Den Abschluss bilden Überlegungen wie Gesellschaft im Sinne eines Miteinanders auch gedacht werden könnte.

Elisabeth Magdlener , Obperson des Vereins CCC** –     Change Cultural Concepts, ist Kulturwissenschaftlerin, Expertin, Vortragende und Lehrende im Bereich Queer DisAbility (Studies) und Körperdiskurse u.a.. Sie erarbeitet regelmäßig akademische/ aktivistische Projekte   und schreibt in verschiedenen Medien zu den Thematiken. Elisabeth Magdlener studierte Gender Studies und Pädagogik an der Universität Wien. Sie ist im Vorstand von Ninlil – Empowerment und Beratung für Frauen* mit Behinderung* und ist Tänzerin und Mitglied der weltweiten Community-Tanzbewegung DanceAbility und A.D.A.M. (Austrian DanceArt Movement).

Der Vortrag kann auf der Plattform „ Zoom “   nach fristgerechter Registrierung live verfolgt werden und wird leicht zeitverzögert über YouTube gestreamt.  Die Vortragsreihe wird grundsätzlich in Gebärdensprache verdolmetscht. Darüber hinaus bieten wir Zugang zur Schriftdolmetschung an. Alle Informationen bekommen Sie nach Anmeldung im Vorfeld der Veranstaltung zugeschickt. Wenn Sie in anderer Form auf Barrierefreiheit angewiesen sind, informieren Sie uns bitte. Link zur Anmeldung (für die Teilnahme über Zoom) und weitere Informationen zur Vortragsreihe: https://www.s-inn.net/veranstaltungen/eine-queere-perspektive-auf-behinderung

Für weitere Fragen steht Ihnen Sinem Malgac unter der Emailadresse malgac@evh-bochum.de   zur Verfügung.

Veranstaltungsleitung Transfernetzwerk Soziale Innovation –   s_inn, Bochumer Zentrum für Disability Studies (BODYS)

Organisationsteam: Gudrun Kellermann (BODYS, EvH RWL Bochum),  Jens Koller (s_inn, EvH RWL Bochum), Sinem Malgac (s_inn, EvH RWL Bochum)

Podiumsdiskussion: Gegen Gewalt an Frauen und Mädchen mit Behinderungen

 Am Freitag 20. Mai 16.00-18.00h findet an der Uni Salzburg eine Podiumsdiskussion zu Gewalt und Gewaltprävention von Frauen und Mädchen mit Behinderungen statt. Interessierte sind herzlich dazu eingeladen!

Frauen und Mädchen mit Behinderungen sind in einem erhöhten Ausmaß von Gewalt betroffen. Insbesondere sexuelle und geschlechtsbezogene sowie strukturelle Gewalt lassen sich empirisch belegen. Die Gewalterfahrungen von Frauen und Mädchen mit Behinderungen sind untrennbar mit Diskriminierungserfahrungen verbunden und unterliegen komplexen intersektionalen Wirkmechanismen, die gerade erst durch das Zusammentreffen von Geschlecht* und Behinderung zutage treten. Mangelnder Zugang zum Recht und unzureichender faktischer Schutz vor Gewalt verschärfen die Lebenssituation von Frauen und Mädchen mit Behinderungen noch einmal.

Das Thema Gewalt und Gewaltprävention von Frauen und Mädchen mit Behinderungen behandelten Nina Eckstein und Angela Wegscheider mit Studierenden der Universität Salzburg im Rahmen einer Lehrveranstaltung. Den Abschluss der Lehrveranstaltung bildet nun eine Podiumsdiskussion mit Expert*innen aus der Praxis. Die interessierte Öffentlichkeit ist zur Teilnahme herzlich eingeladen.

Es diskutieren:

Mag.a Elisabeth Udl und Mag.a Isabell Naronnig vom Verein Ninlil – Empowerment und Beratung für Frauen mit Behinderung

Mag.a (FH) Monika E. Schmerold von knack:punkt – Selbstbestimmt Leben Salzburg Interessensvertretung von/für Menschen mit Behinderung

Mag.a Alexandra Niedermoser von VertretungsNetz-Bewohnervertretung Salzburg/Tirol

Am Freitag, 20. Mai 2022 von 16 bis 18 Uhr im Unipark Nonntal, Georg-Eisler-Hörsaal E.003 (1. Untergeschoss), Erzabt-Klotz-Straße 1, 5020 Salzburg

Der Hörsaal ist barrierefrei zugänglich und mit Induktionsanlage. ÖGS-Dolmetschung wird bereitgestellt. Die Teilnahme ist kostenlos. Um Anmeldung unter angela.wegscheider@plus.ac.at wird gebeten. Die Podiumsdiskussion findet präsent unter Einhaltung der herrschenden COVID 19-Sicherheitsmaßnahmen statt.