Inklusion in der Darmkrebsvorsorge: Eine dringende Notwendigkeit
Darmkrebs stellt eine bedeutende Gesundheitsgefahr für alle Menschen und auch für Menschen mit Lernschwierigkeiten bzw. mit intellektuellen Beeinträchtigungen dar. Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass Menschen mit Lernschwierigkeiten deutlich seltener an Darmkrebsvorsorgeprogrammen teilnehmen. Hier besteht ein klarer Handlungsbedarf: Inklusive und barrierefreie Vorsorgeangebote müssen geschaffen werden, um die gesundheitliche Ungleichheit zu reduzieren.
Barrieren bei der Teilnahme an Vorsorgeuntersuchungen
Die Studie hat eine Reihe von Barrieren identifiziert, die die Teilnahme von Menschen mit Lernbehinderungen an der Darmkrebsvorsorge behindern. Ein zentrales Hindernis ist die fehlende Aufklärung über Vorsorgeuntersuchungen, insbesondere in leicht verständlicher Sprache. Zudem empfinden sie, wie viele Menschen auch, negative Emotionen, wie Angst und Scham, bei medizinischen Untersuchungen, was oft zur Ablehnung von Vorsorgeangeboten führt. Auch systemische Defizite, wie der Mangel an barrierefreien Arztpraxen und fehlende spezifische Schulungen des medizinischen Personals, erschweren den Zugang zur Gesundheitsversorgung.
Empfehlungen zur Verbesserung der Vorsorge
Basierend auf den Erkenntnissen der Studie wird empfohlen, ein flächendeckendes, inklusives Darmkrebsvorsorgeprogramm zu entwickeln. Dieses sollte die Bedürfnisse von Menschen mit Lernschwierigkeiten mitdenken, indem leicht verständliche Informationsmaterialien bereitgestellt und unterstützende Strukturen geschaffen werden. Zudem ist es wichtig, dass das medizinische Personal gezielt für den Umgang mit Menschen mit Behinderungen geschult wird, um negative Erfahrungen zu minimieren und das Vertrauen in die medizinische Versorgung zu stärken. Nur durch solche Maßnahmen kann die Darmkrebssterblichkeit bei dieser besonders vulnerablen Gruppe nachhaltig gesenkt werden.
Die Studie kann hier in leichter und schwerer Sprache heruntergeladen werden.
Weiterhin bestehende Barrieren und eine enge Leistungsdefinition. Wie utopisch ist inklusive Bildung an den österreichischen Universitäten?
Die letzten Jahre haben eine Vielzahl von Änderungen im Universitätsrecht mit sich gebracht, welche eine weitgehende Autonomie der Unis zur Folge hatte und sich in einem verstärkten – durchaus globalen – Wettbewerb um knappe Ressourcen zeigt. Ebenso erkennbar ist es an den Anforderungen, die an die Studierenden gestellt werden. Igea Troiani & Claudia Dutson unterstreichen, dass es an einer neoliberal geprägten Universität vor allem um Effizienz, schnelle Abschlüsse und rasche Vermittelbarkeit am Arbeitsmarkt geht. Es gibt Mindeststudienzeiten, eine Mindeststudienleistung mit Sperrfrist und es gibt Meilensteine, die durchaus das Potential zu Hürden haben (z.B. die Studieneingangsphase). Insgesamt ist das System „Studium“ an einem Durchschnitt ausgerichtet, der sich in sehr engen Grenzen bewegt, was Zeit, Energie und andere Ressourcen betrifft.
Demgegenüber steht nun aber die von Österreich ratifizierte UN-Behindertenrechtskonvention. Diese fordert ein diskriminierungsfreies und inklusives Studieren für alle. Inklusion bedeutet in diesem Kontext mehr, als nur Menschen mit Behinderungen „in die ausgrenzende Gesellschaft“ einzuschließen, wie Marianne Hirschberg & Swantje Köbsell betonen. Sie unterscheidet sich damit klar von integrativen Bildungskonzepten. Zusätzlich dazu hat an den Universitäten „Diversity & Inclusion“ stark an Bedeutung zugenommen. Gleichstellung und Diversitätsmanagement werden als „wesentliche Bestandteile der gesellschaftlichen Verantwortung der Universitäten“ gesehen, wie das Bildungsministerium schreibt. Best Practice Maßnahmen finden sich z.B. unter den mit dem Diversitas-Preis ausgezeichneten Universitäten.
Die Situation der Studierenden in Österreich
Wie gestaltet sich also die aktuelle Situation der Studierenden mit Behinderungen an den österreichischen Universitäten, die ja gemäß Studierendensozialerhebung in etwa 12% ausmachen? Es gibt zwar so genannte Nachteilsausgleiche wie z.B. die Prüfungszeitverlängerung, die sehr wesentlich und wichtig sind – gleichzeitig führen diese aber nicht dazu, dass sich das System verändert. Es wird von einem individuellen Problem, einem „Nachteil“, ausgegangen, den die Person geltend machen muss, um durch unterstützende Maßnahmen in das System, das als weitgehend neutral betrachtet wird, eingepasst zu werden. Also eher Integration als Inklusion.
Dass Studierende ihren „Nachteil“ geltend machen müssen, bedeutet, dass sie sich erklären und ihre Nachteilsausgleiche selbst aushandeln müssen. Nur eine Diagnose zu nennen, schafft kein vollumfängliches Verständnis für die erlebten Behinderungen im Studienalltag. Und da kommt es natürlich stark auf das Gegenüber an. Ist das Gegenüber verständnisvoll und offen oder denkt vielleicht, ich will mich vor etwas drücken? Hat die Person, die Kompetenz und die Ressourcen, um die Unterstützung erfolgreich umzusetzen? Kann ich meine Bedürfnisse überhaupt so kommunizieren, dass ich die Unterstützung bekomme, die ich brauche? Weiß ich überhaupt was ich brauche? Auch ein wichtiger Punkt, vor allem, wenn keine Vorerfahrung besteht. Und natürlich – Bedarfe können sich im Zeitlauf auch ändern, Hilfsmittel können aufhören zu funktionieren oder die bauliche Barrierefreiheit ist nicht mehr gegeben, weil man in einem anderen Gebäude studiert oder gerade eine Baustelle vor Ort ist.
Gleichzeitig wurde vom Rechnungshof Österreich, im Hinblick auf die DSGVO empfohlen, keine Diagnosen von den Studierenden mehr einzuholen, sondern sich ausschließlich konkrete Auswirkungen auf den Studienalltag bestätigen zu lassen, was an einigen Universitäten bereits umgesetzt wurde. So oder so können Diagnoseprozesse, die für die Ausstellung eines solchen Attestes dennoch weiterhin wesentlich sind, lange dauern. Dies kann Studierende in eine schwierige Position bringen, wenn sich eine Lücke zwischen tatsächlichem Bedarf und fehlender „Legitimation“ ergibt.
An den österreichischen Unis gibt es eigene Anlaufstellen mit Behindertenbeauftragten, die erfahrungsgemäß sehr engagiert sind und eben sowohl die Kompetenz, als auch die nötigen Mittel zur Umsetzung von Unterstützungsmaßnahmen haben. Aber selbst im besten Fall ist der Zugang zu Nachteilsausgleichen damit verbunden, dass man seine Behinderungen bekannt gibt – was nicht alle Studierenden wollen. Die sich teils leider immer noch bewahrheitende Befürchtung ist, dass man dadurch Nachteile erlebt, anders behandelt wird oder verletzende Aussagen hören muss. Gerade Studierende mit psychischen Erkrankungen sind hiervon betroffen, was sich ebenfalls im Zusatzbericht der Studierendensozialerhebung gezeigt hat. Manche beschließen auch, nur einen Teil der Behinderungen preiszugeben, um in die enge Leistungsdefinition zu passen.
Überdies wurde aufgezeigt, wie viel Mehraufwand es mit sich bringen kann, durch diese individualisierende Sichtweise für sich selbst zugänglichere Studienbedingungen zu schaffen. Nicht nur die Faktoren „Zeit“ und „Energie“ waren wesentlich, sondern auch emotionale Aspekte, wie eben die Offenlegung der Behinderungen oder das Gefühl bzw. die Sorge, andere mit den Bedarfen „zu stressen“ oder keinen Anspruch zu haben. Hinzu kommen bürokratische Angelegenheiten, die außerhalb der universitären Sphäre liegen und die etwa die Beantragung von Behindertenpass, Pflegegeld, Transport- oder Asssistenzleistungen betreffen.
Im Zuge meiner Interviews für die Dissertation wurden weiterhin bestehende bauliche Barrieren genannt. Darunter fällt u.a., dass Stiegengeländer nicht stabil waren, es einzelne hohe Stufen gab, Aufzüge nicht in alle Stockwerke fuhren, Rampen zu steil oder Türbeschriftungen zu klein waren. Ebenso braucht es ein vermehrtes Anbieten von Schriftdolmetschung, eine zugänglichere Laborumgebung und einen Abbau technischer Barrieren.
Von Barrierefreiheit profitieren alle
Insgesamt ergeben sich einige Ansatzpunkte, um im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention die Barrierefreiheit für alle von vornherein zu erhöhen und damit auch jene abzuholen, die ohne Unterstützung zu suchen, aus dem System ausscheiden würden. Das beginnt bereits vor der Lehrveranstaltung – bei der Gestaltung zugänglicher Curricula, Unterrichtsmaterialien und Universitätsgebäude. Denn eine interviewte Person hat sehr schön auf den Punkt gebracht, was vielfach implizit oder explizit geäußert wurde:
„Ich will ja auch nicht, dass da jetzt immer ganz speziell für mich Lösungen gefunden werden. Da bin ich auch irgendwie müde. Ich hätte gerne, dass es von Haus aus geht. Dass es auch darauf ausgerichtet ist, dass Menschen mit Einschränkungen das machen.“
Eine aus meiner Sicht sehr positive Entwicklung ist, dass Behindertenbeauftragte sich vermehrt explizit an Studierende mit chronischen Erkrankungen richten, da hier oftmals gar nicht das Bewusstsein besteht, dass man zur Gruppe der Studierenden mit Behinderungen gehört.
Darüber hinaus wurden die Lehrenden als wesentliche Ansprechpersonen von Studierenden genannt, weshalb spezielle Trainings zu inklusivem Unterrichten hilfreich sein können. Barrierefreiheit sollte hier weiter gedacht werden, denn auch die Hörsaalgröße, die Belichtung, die Akustik, die didaktischen Methoden, Zeit, Zeitpunkt und Zeitrahmen haben einen Einfluss auf die Lernenden. Hinzu kommen noch unvorhergesehene Studienunterbrechungen und die Frage, wie damit umgegangen wird. Ferner ist die Studienorganisation wesentlich, dazu zählen z.B. Anmeldeverfahren, die Prüfungsdichte oder die Regelung der Anwesenheitspflicht. In diesem Kontext ist die Online-Lehre, die während der Pandemie relativ flächendeckend ermöglicht wurde, besonders hervorzustreichen. Natürlich wird hier in einigen Fällen gleichfalls von Barrieren berichtet, die sich gravierend auf den Studienerfolg auswirken können oder Präsenz wird aus verschiedensten Gründen von den Lernenden präferiert. Mir ist es dennoch ein Anliegen, mich für eine Beibehaltung – und kontinuierliche Optimierung – der geschaffenen Strukturen einzusetzen. Und zwar nicht als reines Entweder/Oder, sondern als wertfreie Ergänzung. Für all jene, die aus gesundheitlichen Gründen phasenweise oder eventuell für die Dauer des restlichen Studiums, nicht in Präsenz teilnehmen können.
Mein Wunsch, der in naher Zukunft hoffentlich KEINE Utopie mehr ist, wäre, dass sich der Blickwinkel auf Studierende mit Behinderungen verschiebt. Dass Beeinträchtigungen nicht mehr als individuelles Defizit gesehen werden, sondern die strukturellen Behinderungen überdacht werden. Nimmt man die UN-Behindertenrechtskonvention als Richtschnur, sollte das Ziel sein, eine Kultur und ein Lernumfeld zu schaffen, die die Diversität von allen Lernenden versteht und fördert. Dazu gehört, die Zugänglichkeit in allen Belangen von vornherein größtmöglich zu erhöhen. Was nicht nur den Studierenden mit Behinderungen zugute kommen würde – eine Rampe beim Haupteingang hilft darüber hinaus jenen, die z.B. mit Kinderwägen unterwegs sind oder größere Ausrüstung transportieren müssen. Und auch wenn es in einigen Fällen weiterhin sehr wichtig sein würde, individuelle Lösungen zu finden, würde die Notwendigkeit der Offenlegung von Beeinträchtigungen zum Großteil obsolet werden, da Studierende frei wählen könnten und somit die Chance geringer wäre, dass sie überhaupt „behindert werden“. Denn eines zeigen Sheryl E. Burgstahler & Rebecca C. Corey: dass Nachteilsausgleiche jenen helfen, die sie brauchen und an der Leistung der anderen wenig verändern. Gleiches lässt sich für die generelle und in einem breiten Sinne gedachte Zugänglichkeit der einzelnen Studiengänge, sowie der Universitäten feststellen.
Autorin Michaela Joch beschäftigt sich in ihrer Doktorarbeit (WU WIEN) mit der universitären Zugänglichkeit. Dieser Artikel ist gekürzt in progress 01/2024 erschienen.
Erklärung: Die Definition von Behinderung in diesem Artikel richtet sich nach der UN-Behindertenrechtskonvention. Weiters wird zwischen Beeinträchtigungen – z.B. Erkrankungen, Erblindung, Gehörlosigkeit, etc. – und Behinderungen unterschieden. Behinderungen entstehen im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention erst durch die Wechselwirkungen zwischen dieser Beeinträchtigung und den Barrieren in der Umwelt bzw. Gesellschaft. Man spricht hier auch von „behindert werden“.
Petra Flieger hat im Auftrag des Tiroler Monitoringausschusses eine explorative Studie zum Thema „Selbstbestimmtes Wohnen für Menschen mit Behinderungen in Tirol“ erstellt. Diese basiert auf der dritten Stellungnahme „Wohnen in Tirol – Teil 3: Wohnen wie alle Menschen. Handreichung für selbstbestimmtes inklusives Wohnen und Deinstitutionalisierung“ aus dem Jahr 2021. Ziel der im Sinne der aktivierenden Sozialforschung konzipierten Studie war es, die Umsetzung und Realisierung von selbstbestimmtem Wohnen für Menschen mit Behinderungen zu untersuchen.
Die Studie ist auf der Website des Tiroler Monitoringausschusses in Langfassung, Kurzfassung und in Leichter Sprache abrufbar: https://www.tirol.gv.at/gesellschaft-soziales/gleichbehandlung-antidiskriminierung/tiroler-monitoringausschuss/veroeffentlichungen/
Die Studie analysiert verschiedene Aspekte des Wohnens, darunter bauliche Gegebenheiten, Unterstützungsangebote und soziale Integration. Mit Hilfe von Interviews wurden insbesondere die Erfahrungen und Perspektiven von Betroffenen, aber auch von Personen aus der Landesverwaltung und -politik erhoben. Die Ergebnisse sollen den Status quo darstellen, für das Thema sensibilisieren und eine Grundlage für die nächsten Schritte zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention in Tirol bilden.
Der Bericht zeigt thematisch differenziert mögliche Barrieren für selbstbestimmtes Wohnen und Benachteiligungen auf, zieht Vergleiche zur Situation von Menschen ohne Behinderungen und formuliert Empfehlungen zur Verbesserung der Wohnsituation von Menschen mit Behinderungen in Tirol. Die Ergebnisse geben Einblick in bestehende Ungleichbehandlungen und Fremdbestimmungen. Die Interviewaussagen spiegeln ein ungleiches Machtverhältnis und eine ungleiche Verteilung der Handlungsräume zwischen Menschen mit Behinderungen, den Einrichtungen bzw. Dienstleistern und deren Mitarbeiter-innen sowie der Verwaltung, die Leistungen bewilligt, wider. Im Gegensatz zu den Befragten aus Landesverwaltung und -politik leben Menschen mit Behinderungen deutlich seltener alleine oder mit Familienangehörigen, sondern häufig mit anderen Menschen mit Behinderungen in einer Gruppe zusammen. Die Mitbewohner-innen sind in den meisten Fällen nicht selbst gewählt. Das Wohnen in einer Einrichtung ist deutlich stärker von Fremdbestimmung geprägt als das Wohnen in einem Privathaushalt mit oder ohne andere Menschen. Der Wohnalltag in Einrichtungen ist in den meisten Fällen durch die Regeln der Gruppe oder Betreuer-innen fremdbestimmt. Auch die Haushaltsführung kann kaum individuell beeinflusst werden. Ihre Lebenssituation ist durch wenig Außenkontakte oder Aktivitäten außerhalb der Einrichtung gekennzeichnet. Dies trifft vor allem auf Menschen mit einem hohen Unterstützungsbedarf und kognitiver oder mehrfacher Behinderung zu.
Die Ergebnisse zeigen Herausforderungen und Chancen im Bereich des selbstbestimmten Wohnens für Menschen mit Behinderungen in Tirol auf und dienen als Grundlage für zukünftige Maßnahmen, wie z.B. die Notwendigkeit der Erarbeitung einer Deinstitutionalisierungsstrategie auf Landesebene, die Notwendigkeit des Lernens von Empowerment und Selbstbestimmung sowie des Austausches durch soziale Netzwerke.
Der Rechnungshof veröffentlichte im Jahr 2022 einen Bericht über die Prüfung von barrierefreiem Arbeiten und Studieren an Universitäten. Aus diesem Bericht geht unter anderem hervor, dass keine österreichische Universität die Einstellungspflicht nach BEinStG erfüllen konnte. Die mit öffentlichen Geldern finanzierten Universitäten mussten im Jahr 2020 Ausgleichszahlungen in Höhe von rund 5,33 Millionen Euro zahlen (siehe Rechnungshofbericht, S. 32). Auffällig ist hier, neben der beträchtlichen Summe (respektive den Versäumnissen der Universitäten), das große Gefälle: Die schlechteste Quote für besetzte Pflichtstellen liegt bei 22% an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien, wohingegen die beste – die Universität Graz – bei 96% liegt. Im Schnitt erfüllen die Universitäten ihre Beschäftigungspflicht mit 44% nicht mal zur Hälfte – aus Sicht von Disability Studies Austria ein Armutszeugnis und dringender Handlungsbedarf für gegensteuerende Maßnahmen.
Zuletzt hat die Redaktion von Dossier und von andererseits Recherche Artikel über die Situation am Arbeitsmarkt und u.a. auch an den österreichischen Universitäten veröffentlicht.
Nikolaus Hauer und Helga Fasching, Institut für Bildungswissenschaft an der Universität Wien, präsentierten das in dem Beitrag dargestellte Projekt bei der 2. DiStA Forschungswerkstatt 2023.
Ansätze partizipativer Forschung in universitärer Lehre
Unter dem Titel „Inklusion in Arbeit – zur Bedeutung von Assistenzmaßnahmen“ wurde im Wintersemester 22/23 am Institut für Bildungswissenschaft der Universität Wien der Versuch unternommen, gemeinsam mit Expert-innen mit Behinderungserfahrung universitäre Lehre partizipativ zu gestalten. Die Lehrveranstaltung wurde gemeinsam mit drei Expert-innen des Projekts P.I.L.O.T. (Integration Wien)[1] geplant, durchgeführt und reflektiert. Im Anschluss an die Prinzipien partizipativer Forschung verstehen wir die partizipative Gestaltung universitärer Lehre als den aktiven Einbezug von Menschen mit Behinderungserfahrungen als Expert-innen in eigener Sache. Das meint auch den Versuch, Diskursräume zu eröffnen, welche Menschen mit Behinderungserfahrung oftmals strukturell schwer zugänglich gemacht werden.
Hauser, Kremsner, Schuppener, Koenig und Buchner (2016) halten fest, dass Ansätze partizipativer und inklusiver Forschung vereinzelt Einzug in universitäre Lehre finden. Nichtsdestotrotz sei zu festzustellen, dass diese zu kurz greifen würden, „um von einer ‚echten‘ und institutionell verankerten Partizipation“ (ebd., S. 287) sprechen zu können. So lässt sich auch die Universität als Sozialraum betrachten, der in seiner inhärenten Struktur exkludierende Bedingungen für Menschen mit Behinderung schafft. Im Sinne eines kritischen und teilhabeorientieren Verständnisses von Wissenschaft gilt es also auch, Bedingungen, welche Behinderungserfahrungen strukturell hervorbringen, in den Blick zu rücken. Es lässt sich also festhalten, dass die Lehrveranstaltung auch einen Versuch darstellt, in Form partizipativer Gestaltung eben jene Perspektiven von Menschen mit Behinderungserfahrung auf behindernde Strukturen aktiv miteinzubeziehen und im Sinne einer partialen Perspektive (Haraway 1996) unterschiedliche verortete Sichtweisen zu kollektiver Erkenntnis zu verknüpfen.
Planung und Durchführung der Lehrveranstaltung
Bei einem ersten gemeinsamen Kennenlern- und Planungstreffen mit den Expert-innen wurde die inhaltliche Ausrichtung der Lehrveranstaltung erarbeitet. Die bisherigen Planungsschritte wurden vorgestellt, wie auch erste Ideen zu möglichen Themengebieten, die im Seminar zur Diskussion gebracht werden könnten. Erste Vorschläge waren die Themen Arbeit, Assistenz und Selbstbestimmung. In Absprache und Diskussion mit den Expert-innen wurden diese Themen teilweise angepasst. Arbeit und Assistenz wurden beibehalten. Nach kritischem Einwand der Expert-innen, dass Selbstbestimmung als Begriff zu vieldeutig und thematisch zu umfassend ist, erfolgte eine Einigung auf den Themenbereich von Selbstvertretung. Als vierten Themenbereich wurde auf Vorschlag der Expert-innen Barrierefreiheit ergänzt.
Die partizipative Durchführung der Lehrveranstaltung erfolgte verteilt auf zwei Einheiten in Orientierung an dem Gruppendiskussionsverfahren des Reflecting Team nach Tom Andersen (2011). Dieses Verfahren wurde bereits im FWF-Projekt „Kooperation für Inklusion in Bildungsübergängen“[2] für die Durchführung in partizipativen Forschungskontexten adaptiert (Fasching/Felbermayr/Todd 2023) und im Rahmen der Lehrveranstaltung weiter an den entsprechenden Rahmen angepasst. Der Ablauf erfolgt grundlegend in vier Schritten. Nach dem ersten, eröffnenden Teil sprechen im zweiten Teil die Diskussionsteilnehmer-innen und die Moderator-in über ein bestimmtes Thema und die reflektierenden Beobachter-innen beobachten das Geschehen. Im dritten Teil nehmen die Beobachter-innen eine aktive Rolle ein und teilen der Diskussionsgruppe ihre Beobachtungen mit. Im vierten Teil erfolgt ein erneuter Rollenwechsel, die Diskussionsteilnehmer-innen reflektieren und diskutieren die Darstellungen der Beobachter-innen (vgl. Felbermayr/ Fasching/ Engler 2021, S. 198f.). Diese abschließende Phase bezeichnet die „Reflexion über die Reflexion“ (Fasching/ Felbermayr 2019, S. 447). Zentrale Aspekte dieses Verfahrens bilden dabei die Vergabe unterschiedlicher Diskutant-innen- und Beobachter-innenrollen, wie auch eine Trennung von Diskussions- und Reflexionsphasen.
Abbildung 1: Setting im Seminarraum (Grafik: Alexandra Aigner)
Dieses Verfahren wurde für die Durchführung der partizipativ gestalteten Einheiten im Seminar übernommen und dem Kontext entsprechend angepasst. Erweitert wurde das Verfahren durch Inputs der Studierendengruppe, welche als Diskussionseinstiege mit den Expert-innen zu den unterschiedlichen Themenblöcken dienen. Von den Studierenden wurden dafür Kurzpräsentationen vorbereitet, die in einfacher Sprache vorgetragen und mit möglichst barrierefrei gestalteten Postern ergänzt wurden. Nach jedem Kurzinput erfolgte eine Diskussion in der Gruppe, welche von einer Studierendengruppe moderiert wurde. Die Seminarleiter-innen nehmen dabei die Rollen der reflektierenden Beobachter-innen ein. Nach Abschluss der Gruppendiskussion werden die Eindrücke und Reflexionen der Beobachter-innen der Gruppe mitgeteilt, in der abschließenden Phase von den Diskussionsteilnehmer-innen ergänzt, kommentiert oder erwidert.
Die zweite partizipative Diskussionseinheit wurde nach ähnlichem methodischem Vorgehen durchgeführt. Ein zentraler Unterscheid war jedoch die thematische Schwerpunktsetzung. Diese wurde nach Abschluss der ersten Einheit festgelegt, wobei den Expert-innen die Auswahl der Themen übergeben wurde. Die gewählten Themen der zweiten Einheit waren Journalismus, Literatur und Sport für Menschen mit Behinderung. Die Expert-innen präsentierten in der zweiten Einheit zu diesen Themen, zu denen anschließend diskutiert wurde.
Ausblick
Aus unserer Perspektive stellt die Durchführung dieser partizipativen Lehrveranstaltung einen Erfolg und eine Bereicherung in der universitären Lehre dar. Es ergeben sich Lernmöglichkeiten auf allen Seiten, also für Expert-innen, Studierende und Lehrende. Auf Basis der Rückmeldungen der Expert-innen im Rahmen der Nachbesprechung lässt sich auch festhalten, dass eine Sensibilisierung auf einer kommunikativen Ebene als wichtig zu erachten ist. Ein Kritikpunkt der Expert-innen war, dass oftmals trotz Bemühen die sprachlichen Formulierungen nicht einfach verständlich waren. Aktuell ist in Zusammenarbeit mit den Expert-innen ein Beitrag in Arbeit, in welchem ihre Perspektiven und Eindrücke noch stärker einfließen sollen, als es an dieser Stelle möglich ist.
Literatur
Andersen, T. (2011). Das Reflektierende Team. Dialoge und Dialoge über die Dialoge. Dortmund: verlag modernes lernen. 5. Auflage
Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz (BMSGPK) (2016). UN – Behindertenrechtskonvention. Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderung – Neue deutsche Übersetzung. Wien. Online: https://broschuerenservice.sozialministerium.at/Home/Download?publicationId=19 , letzter Zugriff: 06.07.2023
Fasching, H.; Felbermayr, K. (2019). „Please treat me respectful“. Partizipative Forschung mit Jugendlichen mit Behinderung zu ihren Kooperationserfahrungen im Übergang von der Schule in (Aus-) Bildung und Beschäftigung. Zeitschrift für Heilpädagogik. 70. S. 442-453.
Fasching, H.; Felbermayr, K.; Todd, L. (2023). Involving Young People with Disabilities in Post-school Transitions through Reflecting Teams. Methodological Reflections and Adaptations for More Participation in a Longitudinal Study. International Journal of Educational and Life Transitions, 2(1): 19, S. 1–15. DOI: https://doi.org/10.5334/ijelt.44
Felbermayr, K.; Fasching, H.; Engler, S. (2021). Qualitativ, partizipativ und reflexiv. Partizipative Kooperation am inklusiven Bildungsübergang erforschen. In: Engel, J.; Epp, A., Lipkina, J., Schinkel, S., Terhart, H. & Wischmann, A. (Hrsg.), Bildung im gesellschaftlichen Wandel. Qualitative Forschungszugänge und Methodenkritik. DGfE: Budrich, S. 193-209
Haraway, D. (1996). Situiertes Wissen. Die Wissenschaftsfrage im Feminismus und das Privileg einer partialen Perspektive. In: Scheich, E. (Hrsg.): Vermittelte Weiblichkeit. Feministische Wissenschafts- und Gesellschaftstheorie. Hamburg, S. 217-248
Hauser, M.; Kremsner, G.; Schuppener, S.; Koenig., O.; Buchner, T. (2016). Auf dem Weg zu einer Inklusiven Hochschule? Entwicklungen in Großbritannien, Irland, Deutschland und Österreich. In: Buchner, T.; Koenig,O.; Schuppener, S. (Hrsg.). Inklusive Forschung. Gemeinsam mit Menschen mit Lernschwierigkeiten forschen. Bad Heilbrunn: Julius Klinkhardt S. 278-298
Von der Kretinenanstalt zur Inklusion – ein Kurzfilm informiert über die europaweit erste Einrichtung für Menschen mit Lernschwierigkeiten bis hin zur heutigen Inklusionspädagogik: „Bildung inklusive“
Die Historikerin Lisa Maria Hofer hat die Geschichte dieser Schule erforscht, im Film sehen wir die Quellen und die Entwicklung. Johannes Hollweger und Sabine Thaler sind junge Menschen mit Lernschwierigkeiten, sie erzählen über Bildung und Ausbildung für Menschen mit Lernschwierigkeiten heute. Robert Schneider-Reisinger von der Pädagogischen Hochschule Salzburg kommt zum Thema Inklusionspädagogik heute zu Wort.
Kretin oder Ketinismus war damals eine Beschreibung eines Krankheitsbildes. Heute wird der Begriff nicht mehr verwendet und als abwertend empfunden. Auch was damals noch großer Fortschritt war, nämlich dass es eigene Unterrichtsanstalten für Menschen mit unterschiedlichen Behinderungen gab, ist heute längst nicht mehr zeitgemäß.
Gotthard Guggenmoos gründete in Salzburg die erste Schule für Kinder mit Lernschwierigkeiten, im Jahr 1816 zunächst in Hallein, sowie mit Gehörschädigung eine private Schule. 1829 wurde die Schule nach Salzburg in die Judengasse 63 verlegt. Die Schule bekam keine öffentliche Förderung. Warum es die Schule gab, lag hauptsächlich am Engagement des Lehrers Guggenmoos.
Siehe: Hofer, Lisa Maria: „Die Schuljugend erscheint […] in Feyertagskleidung, vorzüglich reinlich gewaschen und gekämmt.“ Zwischen Appeasement-Pädagogik und Inklusion im Salzburger Elementarschulwesen von 1810 bis 1830. (Masterarbeit Univ. Salzburg 2018)
Die Zielgruppe der Dissertation,eingereicht an der BOKU, mit dem Titel „Inklusion von Menschen mit Behinderungen in der Urbanen Landwirtschaft in Wien“ waren Menschen, die in Tagesstrukturen arbeiten und betreut werden. Diese Personen fehlen weitestgehend in den Diskussionen über urbane Landwirtschaft, obwohl landwirtschaftliche Tätigkeiten unter bestimmten Umständen viele positive Effekte haben können. Verschiedene Programme im städtischen Gartenbau konnten beispielsweise in der Vergangenheit den Weg auf den Ersten Arbeitsmarkt ebnen. Für die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention – insbesondere der Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen – sind Bildung und Arbeit zentrale Punkte. Menschen mit Behinderungen sind jedoch gegenwärtig oft von diesen Bereichen ausgeschlossen und werden an einer wirklichen Teilhabe an der Gesellschaft gehindert. In dieser Studie wurde hauptsächlich nach den Hindernissen für Inklusionsprozesse im Gartenbau Ausschau gehalten. An einem Pilotprojekt zu urbaner Landwirtschaft und Inklusion in Wien nahmen eine Universität, drei Sozialeinrichtungen mit sieben Mitarbeiter*innen, zwei Gartenbaubetriebe mit zwei Betriebsleiter*innen sowie fünfzehn Menschen mit Behinderungen teil. Aktionsforschung wurde im Rahmen der Tomatenernte wissenschaftlich begleitet und dabei evaluiert sowie modifiziert. Zur gleichen Zeit war die Autorin bestrebt einen Beitrag im Sinne der Grounded Theory zu leisten. Eine mögliche Lösung für künftige Studien ist das Miteinbeziehen von Co-Forscher*innen (Menschen mit Behinderungen), um Forschung im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention inklusiv zu gestalten. Angebote im Bereich der urbanen Landwirtschaft sollten über reine Kooperationen zwischen Sozialeinrichtungen und Gartenbaubetrieben hinausgehen. Ein sozial-ökologisches Szenario mit agrarökologischen Inklusionsbetrieben erscheint sinnvoll. Die Etablierung mehrerer solcher Inklusionsbetriebe im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention in Wien könnte die Stadt den Zielen der nachhaltigen Entwicklung ein Stück näherbringen.
Das Projekt MellowYellow verfolgt das Ziel, mit künstlerischen Methoden Diversität, Inklusion und künstlerische Offenheit als selbstverständliche Praxis in Österreichs Schulen zu etablieren. MellowYellow vermittelt in der Tanzkunstszene anerkannte Mixed-Abled Künstler*innen Teams an Schulen, um Aktionstage bzw. Aktionswochen abzuhalten.
Die beiden Formate bestehen aus drei unterschiedlichen Interventionen (Informance, bewegte Gespräche, Resonanztreffen), die darauf abzielen, dass Lehrkräfte und Schüler*innen ihre Einstellungen über Menschen mit Behinderungen reflektieren und neu bewerten. Das Wissen über das Alltagsleben von Menschen mit Behinderungen soll aufgebaut und Unsicherheiten im Umgang abgebaut werden. Dadurch könnten neue und diversere Vorbilder entstehen, da Menschen mit Behinderungen als Führungspersonen wahrgenommen werden. Lehrer*innen entdecken neue künstlerische Methoden, die sie in die Schulpraxis einführen könnten, Schüler*innen finden einen neuen Zugang zu Kreativität und ihrem Körperempfinden.
MellowYellow hat seit 2017 bis zum Ausbruch der Covid-19 Pandemie 3.039 Schüler*innen in 148 Klassen von 80 Schulen erreicht. Um die Corona-bedingte Unterbrechung der Schulaktivitäten produktiv zu nutzen, wurde der Aktivitätsschwerpunkt des Jahres 2020 auf die soziale Wirkungsmessung gelegt. Es wurde ein Wirkungsmodell (IOOI-Modell nach Phineo, Kurz und Kubek 2017) auf Basis von MellowYellow internen Workshops erstellt und 21 Leitfaden-gestützte Telefoninterviews mit Lehrkräften durchgeführt, die zwischen 2017 und 2020 MellowYellow Interventionen in ihren Schulen erlebt haben. Die Auswertung und inhaltliche Codierung der Interviews erfolgten im Vier-Augen-Prinzip. Sie wurde gemäß der Inhaltsanalyse nach Mayring (2015) vorgenommen. Neben qualitativen Auswertungen wurden auch frequenzanalytische Auszählungen durchgeführt.
Alfons Bauernfeind studierte (Musik-) Soziologie in Wien. Seit 2013 ist er freischaffender Soziologe und Musiker, Mitbegründer des Instituts für partizipative Sozialforschung (2016) sowie der measury Sozialforschung OG (2018) und Leiter einer Forschungswerkstatt an der FH für Soziale Arbeit Wien (2021). Seine Arbeitsschwerpunkte sind soziale Wirkungsmessung und partizipative Begleitforschung von sozial- innovativen Unternehmungen.
Mit der Unterzeichnung des Übereinkommens über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-BRK) hat sich Österreich zu deren Umsetzung und zur Wahrung der Rechte für Menschen mit Behinderungen verpflichtet. Die von Österreich angewendete Strategie zur Umsetzung wird in Nationalen Aktionsplänen festgehalten. Diese werden vom Sozialministerium in Kooperation mit den anderen Bundesministerien und unter Partizipation der Zivilgesellschaft, allen voran Organisationen für Menschen mit Behinderungen, erstellt. Der erste NAP 2012-2020 wurde 2012 veröffentlicht und anschließend heftig diskutiert. Nun liegt ein Entwurf für den Nationalen Aktionsplan 2022-2030, erstellt vom Bund mit Beteiligung der Länder und z.T. von Behindertenorganisationen, vor, der noch im Spätsommer vom Ministerrat beschlossen werden soll.
In einer ausführlichen Analyse der einzelnen Kapitel kritisiert der Monitoringausschuss immer wieder die fehlende Kohärenz zwischen formulierten Zielen und den dazu vorgeschlagenen Maßnahmen, welche oft nicht geeignet scheinen, um die ersteren zu erreichen. Auch seien viele Ziele, Maßnahmen, Begriffe und Indikatoren oft vage, schwammig, unklar oder lückenhaft definiert bzw. formuliert.
Am Erstellungsprozess wird vielfach kritisiert, dass die erarbeiteten Vorschläge und Papers der Behindertenorganisationen zu wenig beachtet bzw. diese nur wenig in die tatsächliche Bearbeitung eingebunden wurden, obwohl die UN-BRK deren Mitwirkung vorsieht. Markus Neuherz, Generalsekretär der Lebenshilfe Österreich meint:
„Unsere Meinung ist gefragt, aber wenn sie nicht gefällig ist, wird sie ignoriert. Tatsächliche Mitbestimmung ist wohl unerwünscht.“
Ein genereller Kritikpunkt ist die fehlende finanzielle Grundlage der im Plan vorgesehenen Maßnahmen. Um sicherzustellen, dass die Maßnahmen Österreicher*innen mit Behinderungen unabhängig von ihrem Bundesland zukommen, wird vielfach ein nationaler Inklusionsfond oder einer andere Zweckwidmung der finanziellen Ressourcen gefordert. Der Behindertenanwalt Hansjörg Hofer meint.
„Ohne eine konkrete und verbindliche Aussage des Bundes und der Länder zur monetären Bedeckung des NAP ist er das Papier nicht wert, auf dem er gedruckt wird! Wir fordern daher die Schaffung eines Inklusionsfonds, zu dem der Bund und alle Länder beitragen; 500 Mio € jährlich für die 1,4 Mio Menschen mit Behinderungen in Österreich“
Beim Thema Inklusive Bildung werden sogar Rückschritte im Vergleich zum NAP 2012-2020 konstatiert und die Empfehlungen in Zuge dessen Evaluierung wären nicht berücksichtigt worden. Die Diakonie Direktorin Maria Katharina Moser meint:
„Es fehlen konkrete Zahlen, zum Beispiel für eine Erhöhung der inklusiven Schulplätze in den kommenden Jahren und den Rückbau der Sonderschulen. .. Bearbeitung der offenkundigen Missstände wird auf die Jahre ab 2030 verschoben, das ist zu spät“.
Dies sei aber notwendig, damit Kinder mit und ohne Behindrung bald gleichermaßen und mit den gleichen Chancen am Bildungssystem teilnehmen können.
Quelle: Pixabay, user: María_Alberto
Ebenfalls Rückschritte werden in Bezug auf das Ziel der De-Institutionalisierung, welches für das selbstbestimmte Leben von Menschen mit Behinderungen von zentraler Bedeutung ist, moniert. Bereits das UN-Monitoringkomitee hat in seinem Report größerer Anstrengungen von Österreich diesbezüglich gefordert. Laut Monitoringausschuss wurde jedoch in den letzten Jahren im Gegensatz dazu der Ausbau von segregierenden Heimplätzen vorangetrieben – nötig wären jedoch der Ausbau von Persönlicher Assistenz sowie die Schließung von Heimen. Auch Caritas Direktor Michael Landau findet, dass
„die Persönliche Assistenz eine Schlüsselrolle in der Selbstbestimmung und gesellschaftlichen Teilhabe von Menschen mit Behinderungen spielt“.
Deswegen müsse man jetzt auf der Grundlage vorhandener Pilotprojekte handeln:
“Es ist sehr viel Zeit vergangen, seit Österreich die UN-Behindertenrechtskonvention unterzeichnet hat. Das theoretische Wissen zu Verbesserungen ist vorhanden, einzig der mutige Wille zur praktischen Umsetzung fehlt in diesem NAP“, so Landau.
Weitere Kritikpunkte umfassen unter anderem die Ausführung über die Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen sowie die Ausklammerung bzw. geringe Berücksichtigung der Situation von Frauen, Mädchen, Eltern oder LGBTQI+ Personen mit Behinderungen.
Die Stimmung der Reaktion auf den NAP Entwurf zusammenfassend hält die Vizepräsidentin der Lebenshilfe ÖsterreichHanna Karat fest, dass Behindertenorganisationen drei Jahre versucht haben, sich in den Erstellungsprozess einzubinden. Dennoch enstspreche der NAP Entwurf nicht den Inhalten der UN-BRK, zu denen sich Österreich verpflichtet hat:
„Unserer Geduld ist am Ende. Ich frage mich, ob wir mit den Rollstühlen vor den Regierungsgebäuden auf der Straße stehen müssen, damit wir endlich zu unseren Rechten kommen“
Die SLIÖ lehnt in ihrer Stellungnahme den NAP Entwurf ab und meint dazu:
„Er enthält auf 147 Seiten zu wenig strukturbildende Maßnahmen im Sinne der UN-BRK. Es fehlen Maßnahmen zur Rücknahme von Verschlechterungen, institutionelle und strukturelle Diskriminierungen werden nicht oder nicht ausreichend bekämpft.“
„Sollten unsere Menschenrechte weiterhin ignoriert werden, sind wir Menschen mit Behinderungen erstmals seit vielen Jahren wieder gezwungen, auf die Straße zu gehen, um für ganz normale Menschenrechte, zu denen sich Österreich schon vor 14 Jahren bekannt und verpflichtet hat, zu demonstrieren“
Anbei Links zu den diversen Stellungnahmen, welche auch die Quelle für die oben angeführten Zitate darstellen. Am umfangreichsten ist die Stellungnahme des Monitoringausschusses. Zudem werden auch Links zur genannten Pressekonferenz sowie zu diversen Zeitungsartikeln zum Thema angeführt.
Auf dem Blog Arbeit und Wirtschaft der AK Wien ist ein Beitrag erschienen, was die Probleme sind und was zu tun ist, um den inklusiven Arbeitsmarkt in Österreich zu verwirklichen.