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DiStA Startseite Englisch & 2. Kurzportrait

DiStA startpage now also available in English

Laura Nadine Hochsteiner has translated the welcome text of the DiStA website into English. She studied Conference Interpreting and Anglistic/American Studies and is now working as a doctoral student at the Centre for Interdisciplinary Research on Ageing and Care at the University of Graz. She wrote her master’s thesis in literary studies on the memoirs of the US disability rights activist Alice Wong.

Below is Laura’s DiStA protrait (in German language) as part of the DiStA members‘ portrait series.

DiStA Startseite nun auch in englischer Sprache verfügbar

Laura Nadine Hochsteiner hat den Willkommenstext des DiStA Internetauftrittes in englische Sprache übersetzt. Sie hat Konferenzdolmetschen und Anglistik/Amerikanistik studiert und arbeitet nun als Doktorandin am Zentrum für Interdisziplinäre Alterns- und Care-Forschung an der Karl-Franzens-Universität Graz. Ihre literaturwissenschaftliche Masterarbeit verfasste sie zu den Memoiren der US-amerikanischen Behindertenrechtsaktivistin Alice Wong.

Hier ihr Kurzportrait:

Laura Nadine Hochsteiner, Literaturwissenschaftlerin an der Universität Graz

Portraitfoto von Laura N. Hochsteiner mit schulterlangen dunkelbraunen Haare und einer dunkel gefärbten Brille. Sie lächelt und trägt ein schwarz-weiß gemustertes Oberteil.Mit Laura Hochsteiner präsentieren wir das zweite Kurzportrait unserer DiSta Kurzportraitreihe.

Laura Hochsteiner war bereits im Rahmen der 3. Dis/Ability Forschungswerkstatt mit einem Beitrag zu ihrer Masterarbeit vertreten.

https://cirac.uni-graz.at/de/ueber-das-zentrum/team/

 

 

Drei Fragen an Laura Nadine Hochsteiner

Für das Kurzportrait hat Laura Hochsteiner folgende Fragen beantwortet:

1. Mit welchen Themen beschäftigst du dich in deiner Forschung bzw. Arbeit?

Zu meiner großen Freude darf ich meine Dissertation als PromoLi2-Stipendiatin am Zentrum für Interdisziplinäre Alterns- und Care-Forschung (CIRAC) der Universität Graz im Fach Amerikanische Literaturwissenschaft verfassen. Ich schätze mich glücklich, mit großartigen Forscher*innen zusammenarbeiten zu können, die sich in ihrer Arbeit Themen widmen, mit denen es interessante Überschneidungen und vielfältige Berührungspunkte im Hinblick auf die Disability Studies gibt. Ganz grundlegend fokussiere ich mich in meinem Dissertationsprojekt auf autobiografische Selbstdarstellungen von Frauen mit Behinderungen in den heutigen USA und sehe mir im Rahmen dessen unter anderem an, was wir als Leserschaft von ihren Texten und Darlegungen lernen und mitnehmen können. Themen wie Intersektionalität und Gender sind dabei von zentraler Bedeutung.

2. Seit wann bist du bei DiStA aktiv?

Weiße Sprechblase auf grauem Hintergrund mit Fragezeichen und Ausrufezeichen. In der Sprechblase steht: Kurzportraits und das DiStA Logo ist abgebildet.Eigentlich bin ich ganz zufällig auf DiStA im Wintersemester 2023 gestoßen: Ich habe „Disability Studies in Österreich“ in die Google-Suchmaschine eingetippt und bin nach ein paar Klicks auf der DiStA-Website gelandet. Nachdem ich das Kontaktformular ausgefüllt habe, wurde ich auch schon zu einem Erstgespräch eingeladen und durfte kurze Zeit später einem Onlinemeeting des DiStA-Kernteams beiwohnen. Dies war die ideale Gelegenheit, erste Einblicke in die Arbeit und Aufgaben von DiStA zu bekommen. Auf diesem Wege erfuhr ich zudem von der alljährlichen Forschungswerkstatt, an der ich im Juni 2024 in Graz teilnahm, wo ich mein Masterarbeitsprojekt präsentieren konnte und wo ich sogleich die Chance nutzte, mich mit anderen Forscher*innen in diesem Bereich zu vernetzen. Bei der Forschungswerkstatt – nach dem persönlichen Kennenlernen und fruchtbaren Gedankenaustausch – habe ich den Wunsch geäußert, mich aktiv bei DiStA einzubringen. Seitdem gehöre ich dem Kernteam an, was mich wirklich sehr freut!

3. Warum bzw. wofür engagierst du dich bei DiStA?

DiStA bietet mir die hervorragende Möglichkeit, mit all jenen regelmäßig in Kontakt und Dialog zu treten, welche die österreichische Forschungslandschaft im Bereich der Disability Studies entscheidend prägen und formen. Ich freue mich, dass ich von ihnen sehr viel lernen darf, und hoffe, dass ich ihnen in Zukunft ebenfalls durch meine Mitarbeit und Forschung etwas zurückgeben kann. Vor allem möchte ich meine literaturwissenschaftliche Perspektive und meine Erfahrung als Frau mit Behinderung einbringen. Österreichweit (oder zumindest an der Universität Graz) will ich einen wesentlichen Beitrag dazu leisten, Disability Studies in den Geisteswissenschaften vermehrt zu etablieren. Langfristig gesehen strebe ich eine wissenschaftliche Karriere an, obwohl ich mir sehr wohl darüber im Klaren bin, dass dies alles andere als einfach mit meiner Behinderung zu bewerkstelligen sein wird (wenn es überhaupt denkbar ist). Im Zuge dessen möchte ich versuchen, im universitären Raum mehr Bewusstsein für Frauen mit Behinderungen zu schaffen, und hoffe, dass ich – auch aus meiner Betroffenenperspektive heraus – anderen Frauen (mit Behinderungen) zur Seite stehen kann. Ich weiß, wie viel Forschung und Aufklärung bewirken können, und als Forscherin mit angeborener Behinderung fühle ich mich (durch meine wissenschaftliche Arbeit) verpflichtet, die Situation von Menschen mit Behinderungen in Österreich zu verbessern, damit ihnen hoffentlich vieles erspart bleibt, das ich aushalten musste und muss.

INNklusion: Entwicklung von Assistenzlösungen für eine inklusivere Zukunft

Von Heidi ULM, studentische Mitarbeiterin an der Universität Innsbruck

Laut dem Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz leben rund 20 Prozent der österreichischen Bevölkerung mit einer Behinderung1. Trotz der seit knapp 15 Jahren bestehenden UN-Behindertenrechtskonvention, mangelt es nach wie vor an ausreichendem Zugang zu Assistenzlösungen2. Die Initiative INNklusion setzt sich dafür ein, diese Herausforderungen zu bewältigen, indem sie Menschen mit Behinderungen, Studierende, Expert*innen und Organisationen zusammenbringt. Durch verschiedene Lehrveranstaltungen an der Universität Innsbruck entwickeln Studierende im Co-Design Prozess gemeinsam mit Menschen mit Behinderungen maßgeschneiderte Assistenzlösungen.

Aufbau und Struktur der Lehrveranstaltung

Um bedarfsgerechte und innovative Assistenzlösungen verwirklichen zu können, werden vor Beginn der Lehrveranstaltung Ideen für Entwicklungen von Menschen mit Behinderungen, Interessensvertretungen oder Vereine gesammelt. In den ersten Terminen werden Teams aus Studierenden unterschiedlicher Fachrichtungen, Fachexpert*innen aus Wissenschaft und Praxis, und Personen mit Behinderung gebildet, die ihre Idee einbringt. Im Mittelpunkt steht immer die ideengebende Person mit ihrer Perspektive, der Expertise der eigenen Lebensrealität und Bedürfnissen an die Assistenzlösung. Dieses sogenannte Co-Design garantiert die bedarfsorientierte Entwicklung gut funktionierender Hilfsmittel.

In wöchentlichen Treffen sammeln die Teams in einem iterativen Prozess Ideen, erarbeiten Konzepte, entwickeln und testen Prototypen, und setzen so die vielversprechendste Idee um. Unterstützung erhalten die Teams von den Fachexpert*innen aus Bereichen wie Ingenieurwesen, Marketing oder Ergotherapie, sowie den Lehrveranstaltungsleitenden.

Erfolgreiche Assistenzlösungen

Zu den bereits umgesetzten Assistenzlösungen zählen ein Haargummi für Menschen mit einem Arm, eine Vorrichtung für den Wasserkocher zum Ausgießen von heißem Wasser für Menschen mit Mobilitätseinschränkung oder ein Kommunikationstool für eine Person mit Locked-In-Syndrom. Neben technischen Assistenzlösungen werden übergreifende Projekte bearbeitet, die Barrieren des öffentlichen Raums abbauen sollen. Ein Beispiel hierfür ist die “Stille Stunde” für den Tiroler Lebensmittelhandel. Bei der „Stillen Stunde“ werden sensorische Reize in Supermärkten reduziert, um ein angenehmes Kauferlebnis vor allem für Menschen im Autismus-Spektrum oder neurosensitive Menschen zu gewährleisten.Weitere ausgewählte Beispiele der entwickelten Assistenzlösungen oder laufender Entwicklungen finden sich auf der Webseite von INNklusion.

Pro Semester werden etwa drei Ideen bearbeitet, wobei der Fortschritt jeder Entwicklung aufgrund des Umfangs, der technischen Komplexität sowie der begrenzten Bearbeitungszeit von einem Semester unterschiedlich ausfallen kann. In diesen Fällen kann es in darauffolgenden Semestern, im Rahmen von Bachelor- oder Masterarbeiten sowie von studentischen Mitarbeitenden fertig gestellt werden. Das Ziel von INNklusion bleibt dennoch die Entwicklung individueller und bedarfsorientierte Lösungen bzw. Konzepte.

Fazit nach eineinhalb Jahren INNklusion

Für INNklusion, als junge Initiative hat die stetige Reflexion und Verbesserung der eigenen Arbeit einen hohen Stellenwert. Aus diesem Grund hat das Team von INNklusion 13 halbstrukturierte Interviews mit Teilnehmer*innen aus der Lehrveranstaltung (4 Menschen mit Behinderungen, 5 Studierende, 2 Fachexpert*innen aus dem Bereich Assistenztechnologien, 1 persönliche Assistentin, 1 Behindertenbeauftragte) geführt und die Ergebnisse analysiert. Die Interviews zeigen, dass die Studierenden den direkten Kontakt zu den Endnutzer*innen der Assistenzlösungen aufgrund des schnellen Einholens von Feedback als positiv und wertvoll für die Entwicklung betrachteten. Auch die Interdisziplinarität der Teams wurde geschätzt und als Erleichterung für das Erarbeiten neuer Ideen eingestuft. Die interviewten Menschen mit Behinderungen fühlten sich in ihrer Expertise und Fähigkeiten ernst genommen und wertgeschätzt. 10 Personen aus verschiedenen Interessengruppen betonten die positiven Auswirkungen der Initiative auf die Sensibilisierung und das erweiterte Verständnis der Teilnehmenden für Behinderungen und Behindertenfeindlichkeit in der Gesellschaft3.

Neben der Lehrveranstaltung finden in einem regelmäßigen Intervall sogenannte Ideencafés statt. Diese ermöglichen das Kennenlernen und den Austausch von Ideen aller Interessierten. Das Format wurde als idealer Zusatz zur Lehrveranstaltung bewertet. Zwei interviewte Menschen mit Behinderung waren der Meinung, dass solche Veranstaltungen die Hemmschwelle, um über Wünsche und Bedürfnisse von Assistenzlösungen zu reden, reduzieren. Das Ideencafé soll deshalb auch weiterhin regelmäßig stattfinden, und als fester Bestandteil der Initiative dem persönlichen Austausch und Vernetzen dienen.

Zukünftige Herausforderungen und Ziele

Die Interviews verdeutlichen, dass viele Teilnehmer*innen für das Thema Inklusion bereits sensibilisiert sind. Es bleibt eine Herausforderung Menschen zu erreichen, die bislang keinen Kontakt mit Behinderung hatten. Das Team von INNklusion setzt sich im Rahmen der Initiative ein, die Öffentlichkeits- und Netzwerkarbeit zu verstärken und Inklusionsprojekte auch in Lehrveranstaltungen anderer Fakultäten zu integrieren.

Die Einbindung von Themen wie Behinderung und Barrierefreiheit in die akademische Ausbildung und der aktive Austausch zwischen Studierenden und Menschen mit Behinderungen tragen dazu bei, ein tieferes Verständnis und eine nachhaltige Sensibilisierung zu erreichen.

Heidi ULM hielt eine Präsentation zu diesem Thema bei der DiStA Forschungswerkstatt 2024 am 21. Juni an der Universität Graz.

Quellen:

1 Bundesministerium Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz (2016): Bericht der Bundesregierung über die Lage der Menschen mit Behinderungen in Österreich 2016.

2 Hartley, Sally. (2011). World Report on Disability (WHO). 10.13140/RG.2.1.4993.8644

3Schmermbeck, K., Ott, O., Ralfs, L., & Weidner, R. (2024). Fostering Inclusion: A Regional Initiative Uniting Communities to Co-Design Assistive Technologies. CoRR, abs/2403.12263. https://doi.org/10.48550/ARXIV.2403.12263

Bericht zur DiStA Forschungswerkstatt 2024

Collage bestehend aus Screenshots aus Fotos einiger online Vortragenden und Aufnahmen vor Ort.

Bericht über die dritte Österreichische Inter- und Transdisziplinäre Dis/Ability-Forschungswerkstatt am 21. Juni 2024

Verfasst von Marlene Krubner, Universität Wien

Anlässlich des 30-jährigen Jubiläums des Zentrums Integriert Studieren an der Universität Graz fand am 21. Juni 2024 die dritte Österreichische Inter- und Transdisziplinäre Dis/Ability-Forschungswerkstatt statt. Die Hybrid-Veranstaltung, an der online und vor Ort bis zu 57 Studierende und Wissenschaftler:innen teilnahmen, wurde dieses Jahr von Andreas Jeitler, Barbara Levc, Rahel More und Angela Wegscheider organisiert. Ziel war es, aktuelle Projekte und Fragestellungen zum Thema Dis/Ability in Österreich zu diskutieren und Erfahrungen auszutauschen.

Nach der Begrüßung durch Barbara Levc und das FOWE-Team hielt Volker Schönwiese eine Keynote zu Disability Studies und Disability Research in Österreich, in der er auch auf den Hintergrund von DiStA einging und aktuelle Herausforderungen thematisierte.

Angela Wegscheider moderierte dann den ersten Slot, der sich ebenfalls mit Disability History beschäftigte. Elisa Heinrich (Uni Innsbruck) eröffnete mit einem Vortrag über feministische Debatten um Nicht/Behinderung in den 1980er-Jahren. Vanessa Tautter präsentierte anschließend das Disability History Project am Haus der Geschichte Österreich.

Der zweite Slot, moderiert von Andreas Jeitler, widmete sich der Inklusionsgestaltung. Michaela Joch (WU Wien) präsentierte ihre Forschungsergebnisse zu den Einschätzungen der Behindertenvertrauenspersonen zur Inklusion im Wissenschafts- und Universitätskontext. Nikolaus Hauer (Uni Wien) stellte sein Forschungskonzept zu Inklusionserfahrungen von Menschen mit Lernschwierigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt in Österreich vor. Heidi Ulm präsentierte, wie die interdisziplinäre Masterlehrveranstaltung INNklusion an der Uni Innsbruck abgehalten wurde. Der Fokus lag dabei auf der Entwicklung von Assistenzlösungen für Menschen mit Behinderungen.

Nach der Mittagspause moderierte Rahel More den dritten Slot zum Thema Ableismus. Laura Hochsteiner (Uni Graz) stellte ihre Masterarbeit „The World Will Finally See Us as We Are“—Dis/ability and Life Writing: Taking Control of the Narrative in Alice Wong’s Year of the Tiger vor, in der sie sich kritisch mit dem gegenwärtigen Ableismus im US-amerikanischen Kontext auseinandersetzt. Valerie Sophie List (BSU St. Pölten) präsentierte anschließend, wie Ableism sensible Lehre an Hochschulen funktionieren kann, ein Thema, zu dem sie gerade eine Masterarbeit verfasste.

Den vierten und letzten Slot zur Inklusiven Pädagogik moderierte Barbara Levc. Simone Jäger (Uni Klagenfurt) präsentierte die Ergebnisse ihrer Masterarbeit zu Inklusion und Selbstbestimmung in stationären Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen aus verschiedenen Perspektiven. Silvia Kopp-Sixt (PH Steiermark) stellte vor, wie Akteursnetzwerke als Reflexionsinstrument funktionieren und erläuterte das Projekt „Governance Inclusive Education“.

Andreas Jeitler moderierte den Abschluss der gelungenen Veranstaltung und lud zu einem gemütlichen Ausklang und Austausch ein. Ideen und Anregungen für die Vernetzung über die Forschungswerkstatt hinaus wurden während der Veranstaltung auf einem Padlet gesammelt und umfassten u.a.:

  • Relevanz von DS-Forschung an den Universitäten
  • Übersicht über partizipativen/inklusiven Lehrveranstaltungen in Österreich
  • KI in der Recherche und DS-Forschung
  • Museen und Barrierefreiheit
  • Partizipative Forschung und gesundheitsbezogene Themen
  • Internationaler Vergleich zu Behindertenvertrauenspersonen an Universitäten

Wir danken allen Teilnehmenden und Vortragenden für ihre Beiträge und die gemeinsame Veranstaltung! In den kommenden Wochen werden auf dem DiStA-Blog einige der Vortragenden ihre Beiträge verschriftlichten und veröffentlichen. Bereits erschienen ist der erste Beitrag Inklusive Hochschule? von Valerie Sophie List.

Inklusive Hochschule?

Von Valerie Sophie List

Wie kann ein gut funktionierendes Miteinander zwischen Lehrenden und Studierenden mit Behinderung entstehen? Ein wesentlicher Faktor für Inklusion und Barrierefreiheit an Hochschulen hat viel mit dem Umgang von Lehrenden mit Studierenden mit Behinderung zu tun.

Die aktuelle Ausgangslage von Studierenden mit Behinderung

Denken wir an Studierende, so stellen wir und junge Erwachsene vor, die in Vorlesungen sitzen, geschäftig von Hörsaal zu Hörsaal wandeln oder in Bibliotheken recherchierend und lernend ihre Zeit verbringen. Die Idee, dass Studierende eine Behinderung haben könnten, kommt uns bei dieser Vorstellung überwiegend nicht in den Sinn. Allerdings sind in Österreich nach eigenen Angaben rund 12 % der Studierenden von verschiedenen Einschränkungen oder Behinderungen betroffen, welche von außen oftmals gar nicht wahrnehmbar sind. Zudem kommen immer mehr Personen mit Behinderung an Hochschulen, um sich weiterzubilden und auf der Basis eines Studiums oder eines akademischen Lehrgangs einen konkreten Berufswunsch zu verfolgen. Somit macht diese nicht abschließend definierte Gruppe einen beträchtlichen Anteil an Studierenden aus.

Obwohl die Inskriptionszahlen von Studierenden mit Behinderung in den letzten Jahrzehnten deutlich zugenommen haben, handeln Hochschulen nicht proaktiv bzw. vorausschauend und planerisch, sondern im Gegenteil, reaktiv, wenn es um inklusive Bildungsmöglichkeiten für eine diverse Studierendenschaft geht. An der Hochschule angekommen, sind Menschen mit Behinderung nämlich mit den verschiedensten Problemen konfrontiert, die sich über bauliche, technische und soziale Barrieren erstrecken. Logischerweise sind es eben jene Hürden, die Personen daran (be)hindern Erfolge und Fortschritte in ihrem Studium verbuchen zu können und nicht die Disability an und für sich.

Soziale Barrieren an Hochschulen

Die Erkenntnis, dass eigentlich der Umgang mit Behinderung problematisch ist, sollte den Grundstein bilden, Hindernisse an Hochschulen zu beseitigen. Dies ließe sich auch umsetzen. Neue Uni und FH Gebäude können architektonisch inklusiv konzipiert werden und Digitalisierung kann ausgebaut und barrierefrei gestaltet werden. Aber wie sieht es eigentlich mit der dritten Kategorie den sozialen Barrieren und insbesondere mit der Beziehung zwischen Lehrenden und Studierenden mit Behinderung aus?

Lehrende sind ungemein wichtige Schlüsselfiguren für alle Studierenden und aus dem universitären Alltag nicht wegzudenken. Immerhin fungieren sie als Wissensvermittler*innen, Ansprechpersonen und Prüfungsabnehmer*innen sowie Arbeitsbeurteiler*innen. Eine gut funktionierende Beziehung ist daher von Vorteil. Dies trifft vor allem auf Studierende mit Behinderung zu, zumal sie in einem anderen Ausmaß mit Barrieren konfrontiert sind und auf die Kooperationsbereitschaft und Zusammenarbeit ihrer Unterrichtenden angewiesen sind.

In verschiedenen Studien und Befragungen geben Studierende mit Behinderung jedoch an, dass Lehrende für sie die größte Barriere im universitären Alltag darstellen. Aber warum ist dem so? Als Akademikerin mit Behinderung habe ich mich im Rahmen meiner Masterarbeit auf Spurensuche begeben, um zwei wesentliche Dinge herauszufinden. Erstens: Warum gehen Lehrende ableistisch bzw. behindertenfeindlich mit Studierenden um? Zweitens: Wie könnte sich eine erhöhte Sensibilität im Bereich Behinderung positiv auf die zwischenmenschliche Beziehung beider Gruppen auswirken?

Lehrende als Barriere für Studierende mit Behinderung

Wie der Anfang des Artikels bereits verdeutlicht werden Studierende überwiegend als homogene Gruppe wahrgenommen. Auch viele Lehrende gehen davon aus, eine einheitliche Masse zu unterrichten und kommen folglich nicht auf die Idee, dass Studierende unterschiedliche Voraussetzungen mitbringen. Dies liegt zum einen daran, dass Unterrichtende wenig bis gar keine Erfahrung mit Menschen mit Behinderung im beruflichen und privaten Kontext haben. Zum anderen hält sich die Weiterbildung in den Bereichen, Inklusion, Barrierefreiheit und Disability für Lehrende an Hochschulen äußerst in Grenzen, weswegen sie nicht ausreichend vorbereitet sind.

Die Konsequenzen von Lehrenden im Umgang mit betroffenen Studierenden können sehr weitreichend sein, angefangen von Angst, Abwehr, Verweigerung von Unterstützung, bis hin zur Leugnung der Behinderung und dem Hinterfragen, ob Menschen mit Behinderung überhaupt zum Studium zugelassen werden sollten. Kaum verwunderlich, die negative Haltung von Unterrichtenden wirkt sich negativ auf den Erfolg und das vorankommen im Studium aus.

Sensibilisierte Lehrende als Verbündete

Manch andere Unterrichtende hingegen sind wiederum offen für die Möglichkeit von Studierenden mit Behinderung in ihren Lehrveranstaltungen und zeichnen sich nicht nur durch ihre Aufgeschlossenheit und Unterstützung aus, sondern sie sehen sich selbst zudem als Verbündete mit einer ‚open door policy‘.  Da sie bereits Berührungspunkte mit Studierenden oder im privaten Umfeld mit Disability hatten, verfügen sie über eine sensiblere Wahrnehmung und ein größeres Wissen als ihre Kolleg*innen ohne derlei Erfahrungen.

Entscheidend sind somit: Begegnung, Erfahrung und Lernen. Dies hilft Lehrenden dabei sensibilisierter mit Studierenden mit Behinderung in Beziehung zu treten.

Lösungsansätze zur Förderung inklusiver Lehrender

Diverse Studien veranschaulichen positive Effekte von Weiterbildungs- und Sensibilisierungsprogrammen für Lehrende. Sowohl Unterrichtende als auch Studierende fordern mehr Angebot im Bereich Inklusion an Hochschulen für Lehrende und sehen hier klar die Bildungsinstitutionen in der Verantwortung aktiv zu werden.

Diese Forderung und deren Ergebnisse würden allerdings nicht nur Menschen mit Behinderung, sondern auch Lehrenden und der allgemeinen Studierendenschaft zu Gute kommen. Während Menschen mit Behinderung erstmals gesehen und als selbstverständlichen Teil der Hochschule mitbedacht werden, bekommen Unterrichtende unter anderem die Möglichkeit eine diversere Zielgruppe anzusprechen. Sie können ein besseres Bildungsangebot setzen, ihr Wissen über verschiedene Kanäle vermitteln und ihre sozialen Kompetenzen erweitern, wovon letzten Endes alle Studierenden profitieren würden.

Valerie Sophie List ist Mitarbeitende an der Bertha von Suttner Privatuniversität St. Pölten und hat „Inklusion und Transformation in Organisationen“ studiert. Zu diesem Thema referierte sie bei der 3. DiStA-Forschungswerkstatt am 21. Juni 2024 in Graz.

Save-the-date: 3. DiStA-Forschungswerkstatt, 21. Juni 2024

Ankündigung der Forschungswerkstatt

Am 21. Juni 2024 wird zum dritten Mal die Österreichische Inter- und Transdisziplinäre Dis/Ability-Forschungswerkstatt stattfinden. Dieses Mal wird die Veranstaltung präsent in Graz und gleichzeitig hybrid via Zoom sein. Denn steht sie im Zeichen des 30-jährigen Jubiläums vom Zentrum Integriert Studieren an der Universität Graz.

Ziel der Forschungswerkstatt ist vor allem die Vernetzung und die Verbreitung der vielfältigen Projekte im Bereich der emanzipatorischen Behinderungsforschung in Österreich. Ein Call for Papers sowie Informationen zur Anmeldung für interessierte Zuhörer-innen und Mitdiskutant-innen wird in Kürze auf dieser Seite veröffentlicht.

Die Forschungswerkstatt richtet sich an Angehörige von Universitäten, Pädagogischen Hochschulen und Fachhochschulen sowie an alle an Disability Studies Interessierten. Die Organisator-innen möchten möglichst viele Disziplinen und Personengruppen (von Studierenden bis hin zu etablierten Wissenschaftler-innen) ansprechen und zur Teilnahme einladen.

Inklusion in Arbeit – Universitäre Lehre partizipativ gestalten

Nikolaus Hauer und Helga Fasching, Institut für Bildungswissenschaft an der Universität Wien, präsentierten das in dem Beitrag dargestellte Projekt bei der 2. DiStA Forschungswerkstatt 2023.

Ansätze partizipativer Forschung in universitärer Lehre

Unter dem Titel „Inklusion in Arbeit – zur Bedeutung von Assistenzmaßnahmen“ wurde im Wintersemester 22/23 am Institut für Bildungswissenschaft der Universität Wien der Versuch unternommen, gemeinsam mit Expert-innen mit Behinderungserfahrung universitäre Lehre partizipativ zu gestalten. Die Lehrveranstaltung wurde gemeinsam mit drei Expert-innen des Projekts P.I.L.O.T. (Integration Wien)[1] geplant, durchgeführt und reflektiert. Im Anschluss an die Prinzipien partizipativer Forschung verstehen wir die partizipative Gestaltung universitärer Lehre als den aktiven Einbezug von Menschen mit Behinderungserfahrungen als Expert-innen in eigener Sache. Das meint auch den Versuch, Diskursräume zu eröffnen, welche Menschen mit Behinderungserfahrung oftmals strukturell schwer zugänglich gemacht werden.

Hauser, Kremsner, Schuppener, Koenig und Buchner (2016) halten fest, dass Ansätze partizipativer und inklusiver Forschung vereinzelt Einzug in universitäre Lehre finden. Nichtsdestotrotz sei zu festzustellen, dass diese zu kurz greifen würden, „um von einer ‚echten‘ und institutionell verankerten Partizipation“ (ebd., S. 287) sprechen zu können. So lässt sich auch die Universität als Sozialraum betrachten, der in seiner inhärenten Struktur exkludierende Bedingungen für Menschen mit Behinderung schafft. Im Sinne eines kritischen und teilhabeorientieren Verständnisses von Wissenschaft gilt es also auch, Bedingungen, welche Behinderungserfahrungen strukturell hervorbringen, in den Blick zu rücken. Es lässt sich also festhalten, dass die Lehrveranstaltung auch einen Versuch darstellt, in Form partizipativer Gestaltung eben jene Perspektiven von Menschen mit Behinderungserfahrung auf behindernde Strukturen aktiv miteinzubeziehen und im Sinne einer partialen Perspektive (Haraway 1996) unterschiedliche verortete Sichtweisen zu kollektiver Erkenntnis zu verknüpfen.

Planung und Durchführung der Lehrveranstaltung

Bei einem ersten gemeinsamen Kennenlern- und Planungstreffen mit den Expert-innen wurde die inhaltliche Ausrichtung der Lehrveranstaltung erarbeitet. Die bisherigen Planungsschritte wurden vorgestellt, wie auch erste Ideen zu möglichen Themengebieten, die im Seminar zur Diskussion gebracht werden könnten. Erste Vorschläge waren die Themen Arbeit, Assistenz und Selbstbestimmung. In Absprache und Diskussion mit den Expert-innen wurden diese Themen teilweise angepasst. Arbeit und Assistenz wurden beibehalten. Nach kritischem Einwand der Expert-innen, dass Selbstbestimmung als Begriff zu vieldeutig und thematisch zu umfassend ist, erfolgte eine Einigung auf den Themenbereich von Selbstvertretung. Als vierten Themenbereich wurde auf Vorschlag der Expert-innen Barrierefreiheit ergänzt.

Die partizipative Durchführung der Lehrveranstaltung erfolgte verteilt auf zwei Einheiten in Orientierung an dem Gruppendiskussionsverfahren des Reflecting Team nach Tom Andersen (2011). Dieses Verfahren wurde bereits im FWF-Projekt „Kooperation für Inklusion in Bildungsübergängen“[2] für die Durchführung in partizipativen Forschungskontexten adaptiert (Fasching/Felbermayr/Todd 2023) und im Rahmen der Lehrveranstaltung weiter an den entsprechenden Rahmen angepasst. Der Ablauf erfolgt grundlegend in vier Schritten. Nach dem ersten, eröffnenden Teil sprechen im zweiten Teil die Diskussionsteilnehmer-innen und die Moderator-in über ein bestimmtes Thema und die reflektierenden Beobachter-innen beobachten das Geschehen. Im dritten Teil nehmen die Beobachter-innen eine aktive Rolle ein und teilen der Diskussionsgruppe ihre Beobachtungen mit. Im vierten Teil erfolgt ein erneuter Rollenwechsel, die Diskussionsteilnehmer-innen reflektieren und diskutieren die Darstellungen der Beobachter-innen (vgl. Felbermayr/ Fasching/ Engler 2021, S. 198f.). Diese abschließende Phase bezeichnet die „Reflexion über die Reflexion“ (Fasching/ Felbermayr 2019, S. 447). Zentrale Aspekte dieses Verfahrens bilden dabei die Vergabe unterschiedlicher Diskutant-innen- und Beobachter-innenrollen, wie auch eine Trennung von Diskussions- und Reflexionsphasen.

Abbildung 1: Setting im Seminarraum (Grafik: Alexandra Aigner)

Abbildung 1: Setting im Seminarraum (Grafik: Alexandra Aigner)

Dieses Verfahren wurde für die Durchführung der partizipativ gestalteten Einheiten im Seminar übernommen und dem Kontext entsprechend angepasst. Erweitert wurde das Verfahren durch Inputs der Studierendengruppe, welche als Diskussionseinstiege mit den Expert-innen zu den unterschiedlichen Themenblöcken dienen. Von den Studierenden wurden dafür Kurzpräsentationen vorbereitet, die in einfacher Sprache vorgetragen und mit möglichst barrierefrei gestalteten Postern ergänzt wurden.  Nach jedem Kurzinput erfolgte eine Diskussion in der Gruppe, welche von einer Studierendengruppe moderiert wurde. Die Seminarleiter-innen nehmen dabei die Rollen der reflektierenden Beobachter-innen ein. Nach Abschluss der Gruppendiskussion werden die Eindrücke und Reflexionen der Beobachter-innen der Gruppe mitgeteilt, in der abschließenden Phase von den Diskussionsteilnehmer-innen ergänzt, kommentiert oder erwidert.

Die zweite partizipative Diskussionseinheit wurde nach ähnlichem methodischem Vorgehen durchgeführt. Ein zentraler Unterscheid war jedoch die thematische Schwerpunktsetzung. Diese wurde nach Abschluss der ersten Einheit festgelegt, wobei den Expert-innen die Auswahl der Themen übergeben wurde. Die gewählten Themen der zweiten Einheit waren Journalismus, Literatur und Sport für Menschen mit Behinderung. Die Expert-innen präsentierten in der zweiten Einheit zu diesen Themen, zu denen anschließend diskutiert wurde.

Ausblick

Aus unserer Perspektive stellt die Durchführung dieser partizipativen Lehrveranstaltung einen Erfolg und eine Bereicherung in der universitären Lehre dar. Es ergeben sich Lernmöglichkeiten auf allen Seiten, also für Expert-innen, Studierende und Lehrende. Auf Basis der Rückmeldungen der Expert-innen im Rahmen der Nachbesprechung lässt sich auch festhalten, dass eine Sensibilisierung auf einer kommunikativen Ebene als wichtig zu erachten ist. Ein Kritikpunkt der Expert-innen war, dass oftmals trotz Bemühen die sprachlichen Formulierungen nicht einfach verständlich waren. Aktuell ist in Zusammenarbeit mit den Expert-innen ein Beitrag in Arbeit, in welchem ihre Perspektiven und Eindrücke noch stärker einfließen sollen, als es an dieser Stelle möglich ist.

Literatur

Andersen, T. (2011). Das Reflektierende Team. Dialoge und Dialoge über die Dialoge. Dortmund: verlag modernes lernen. 5. Auflage

Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz (BMSGPK) (2016). UN – Behindertenrechtskonvention. Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderung – Neue deutsche Übersetzung. Wien. Online: https://broschuerenservice.sozialministerium.at/Home/Download?publicationId=19 , letzter Zugriff: 06.07.2023

Fasching, H.; Felbermayr, K. (2019). „Please treat me respectful“. Partizipative Forschung mit Jugendlichen mit Behinderung zu ihren Kooperationserfahrungen im Übergang von der Schule in (Aus-) Bildung und Beschäftigung. Zeitschrift für Heilpädagogik. 70. S. 442-453.

Fasching, H.; Felbermayr, K.; Todd, L. (2023). Involving Young People with Disabilities in Post-school Transitions through Reflecting Teams. Methodological Reflections and Adaptations for More Participation in a Longitudinal Study. International Journal of Educational and Life Transitions, 2(1): 19, S. 1–15. DOI: https://doi.org/10.5334/ijelt.44

Felbermayr, K.; Fasching, H.; Engler, S. (2021). Qualitativ, partizipativ und reflexiv. Partizipative Kooperation am inklusiven Bildungsübergang erforschen. In: Engel, J.; Epp, A., Lipkina, J., Schinkel, S., Terhart, H. & Wischmann, A. (Hrsg.), Bildung im gesellschaftlichen Wandel. Qualitative Forschungszugänge und Methodenkritik. DGfE: Budrich, S. 193-209

Haraway, D. (1996). Situiertes Wissen. Die Wissenschaftsfrage im Feminismus und das Privileg einer partialen Perspektive. In: Scheich, E. (Hrsg.): Vermittelte Weiblichkeit. Feministische Wissenschafts- und Gesellschaftstheorie. Hamburg, S. 217-248

Hauser, M.; Kremsner, G.; Schuppener, S.; Koenig., O.; Buchner, T. (2016). Auf dem Weg zu einer Inklusiven Hochschule? Entwicklungen in Großbritannien, Irland, Deutschland und Österreich. In: Buchner, T.; Koenig,O.; Schuppener, S. (Hrsg.). Inklusive Forschung. Gemeinsam mit Menschen mit Lernschwierigkeiten forschen. Bad Heilbrunn: Julius Klinkhardt S. 278-298

[1] https://www.integrationwien.at/de/arbeit-beschaeftigung-de/projekt-pilot-de

[2] Projektnummer P-29291, Webseite: https://kooperation-fuer-inklusion.univie.ac.at/

Öffentliche Gelder nur für öffentliche Angebote!

Sind behinderte Menschen eigentlich ein Teil der Bevölkerung? Oder sind wir Sonderfälle, die manchmal innerhalb, manchmal außerhalb der Gesellschaft leben sollen?

Von Kassandra Ruhm

Bei der DiStA-Forschungswerkstatt am 5. Mai 2023 haben wir – neben mehreren anderen spannenden Themen – wieder einmal darüber diskutiert, wie man an verschiedenen Stellen Barrieren aushebeln könnte und wo es Fördermöglichkeiten für die Inklusion einzelner behinderter Menschen gäbe. Ich habe mich schon so viele hundert Stunden gegen Diskriminierung behinderter Menschen und für gesellschaftliche Gerechtigkeit eingesetzt und werde das auch weiter tun – aber ist das wirklich die Aufgabe behinderter Betroffener und nicht die Aufgabe der politischen Entscheidungsgremien und der ausführenden Organe? Es sollte staatlich finanzierte Stellen geben, die unsere Fachkenntnisse einbeziehen und für den Abbau von Barrieren und Benachteiligungen sorgen, statt behinderten Menschen unbezahlt den größten Teil der Arbeit zuzuschieben.

Zumindest eine staatliche Verpflichtung

Der Staat reagiert bei den allgegenwärtigen Rechtsbrüchen zum Nachteil behinderter Menschen oft viel zu wenig. Während wir selbst wenig Sanktionsmöglichkeiten haben, sondern wie Sisyphos immer wieder Steine hoch rollen gegen Organisationen, die einfach keine Lust haben, ihre Barrieren und Benachteiligungen zu beseitigen. Ich finde, das darf nicht so weiter gehen.

In Deutschland z.B. gibt es keine Verpflichtung der Privatwirtschaft zur Barrierefreiheit, obwohl die Behindertenrechtskonvention etwas anderes vorgibt. Das ist ein großes Problem. Aber bei allen Institutionen, die mit öffentlichen Geldern gefördert werden, hat die öffentliche Hand eine sehr gute Handhabe, Barrierefreiheit einzufordern. Wenn sie das will. Mit einer handfesten rechtlichen Grundlage: Der Gesetzgeber hat im deutschen Behindertengleichstellungsgesetz (BGG) unter § 1, Abs. 3 festgelegt:

„Gewähren Träger öffentlicher Gewalt Zuwendungen nach § 23 der Bundeshaushaltsordnung als institutionelle Förderungen, so sollen sie durch Nebenbestimmung zum Zuwendungsbescheid oder vertragliche Vereinbarung sicherstellen, dass die institutionellen Zuwendungsempfängerinnen und -empfänger die Grundzüge dieses Gesetzes anwenden. Aus der Nebenbestimmung zum Zuwendungsbescheid oder der vertraglichen Vereinbarung muss hervorgehen, welche Vorschriften anzuwenden sind.“

Inhalt der Gesetze in Deutschland und Österreich

Barrierefreiheit und der Abbau von Benachteiligungen gehören zu den wichtigen Grundzügen des Behindertengleichstellungsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland. Deshalb wäre es ein Leichtes, immer wenn jemand öffentliche Gelder beantragt, diese Gelder mit der Auflage zu versehen, dass das jeweilige Angebot barrierefrei nutzbar ist. Ausnahmen und Einschränkungen der Barrierefreiheit könnten individuell beantragt und geprüft werden. Anders herum, als es heute ist: Bisher müssen behinderte Menschen noch zu oft individuell ihre Teilhabe beantragen und mühsam erkämpfen.

Ich gehe davon aus, dass eine ganze Reihe von deutschen Bundesländern die Vorgaben des Bundes-Behindertengleichstellungsgesetzes in den Landes-Behindertengleichstellungsgesetzen umgesetzt haben. Und wenn sie es noch nicht in einem aktuellen Landesgleichstellungsgesetz schriftlich fixiert haben, gibt es andere Möglichkeiten, die Forderung zu begründen, dass öffentliche Gelder nur für öffentliche Angebote verwendet werden dürfen. Zum Beispiel wegen eines Diskriminierungsverbotes, wegen der Gleichheit aller Menschen oder wegen anderer Vorgaben der jeweiligen Landesgesetze.

In Österreich gibt es eine ähnliche gesetzliche Vorgabe im Bundes-Behindertengleichstellungsgesetz konkret in § 2, Abs. 1 (Geltungsbereich) in Verbindung mit § 8 (Verpflichtung des Bundes). (Danke an Martin Ladstätter für die Information!)

Ein Beispiel wie es nicht sein darf

Nein, es geht nicht darum, dass fast alle Häuser geschlossen werden müssten, weil wir behinderten Menschen so unglaublich große Forderungen stellen würden. Um es mit einem Beispiel zu verdeutlichen: Im Bremer „Zentrum für queeres Leben“ befindet sich die Toilette im Keller. Man müsste erst einige Stufen hoch und danach eine lange und enge Treppe heruntersteigen, um sie zu erreichen. Ich habe nie gefordert, dass in dem engen, alten Haus ein Fahrstuhl zur Toilette eingebaut würde. Ich hatte den Eindruck, das wäre nicht mit einem tragbaren Aufwand realisierbar. Aber einen würdevolleren und sichereren Eingang in den unteren Hausbereich hätte ich durchaus gewünscht. Mittlerweile habe ich aufgegeben.

Und dann geht es doch!

Der Eingang in den Veranstaltungsraum des schwul-lesbisch-queeren Zentrums (KCR) in Dortmund, in der Nähe meiner alten Heimat im Ruhrgebiet, hatte früher 1 ½ Stufen. Ab 1993 habe ich mich mit meinem ersten eigenen Rollstuhl immer wieder diese Stufen hoch gequält, um dabei sein zu können. Natürlich habe ich mehrfach für eine Rampe argumentiert. Ohne Erfolg. Einige Zeit später hat das Studierendenparlament der Uni Dortmund entschieden, nur barrierefreie Veranstaltungen finanziell zu unterstützen. Eine dieser Veranstaltungen sollte im KCR stattfinden – und was sag‘ ich Euch? Innerhalb kürzester Zeit haben die Vereinsmitglieder eine Rampe gebaut und die Veranstaltung hat wie geplant dort stattgefunden. Zu mir hat damals jemand gesagt: „Ach, eine Rampe wollten wir doch schon lange haben.“ Aber ich und die anderen Rollstuhlfahrer-innen vor Ort haben nicht als Grund ausgereicht, um diesen Wunsch umzusetzen. Mehrere Jahre nicht. Mit der Bindung der Zuwendung der Uni Dortmund an die Barrierefreiheit hatten wir die Rampe innerhalb weniger Wochen. So wünsche ich es mir auch mit allen anderen Geldern unserer Gemeinschaft, unseres Staates.

Gleiches Recht auf gleiche Teilhabe

Wir behinderten Menschen sind ein Teil der allgemeinen Bevölkerung. Wir sind keine Einzelfälle, keine überraschende Ausnahme, mit der niemand rechnen konnte. Wir sind keine andere Kategorie von Lebewesen und keine Menschen 2. Klasse. Wir haben die gleichen Bürgerrechte, wie die anderen auch. Wenn unser Staat das Gemeinschaftsgeld verwendet, um öffentliche Angebote zu unterstützen, dann müssen diese Angebote tatsächlich öffentlich sein, also allen Mitgliedern der Gemeinschaft offenstehen. So wie es § 1, Abs. 3, des Behindertengleichstellungsgesetzes vorsieht. Sonst sind die öffentlichen Gelder dort falsch eingesetzt. Denn wir behinderten Menschen gehören zur Gesellschaft dazu.

Kassandra Ruhm mit Rollstuhl am Gehsteig und schaut zurück

Kassandra Ruhm referierte bei der 2. DiStA Forschungswerkstatt 2023. Sie lebt in Bremen, Deutschland. Kassandra Ruhm arbeitet als Psychologin und setzt sich in ihrer Freizeit mit Kunst, Artikeln und Veranstaltungen für den Abbau von Vorurteilen und eine gerechtere Gesellschaft ein. Mehr Infos: www.Kassandra-Ruhm.de

Zuerst veröffentlicht als Kolumne bei DIE NEUE NORM: Ruhm, Kassandra (2023): Öffentliche Gelder nur für öffentliche Angebote! Erschienen am 16. Mai 2023 online in: Die Neue Norm – das Magazin für Disability Mainstreaming. https://dieneuenorm.de/kolumne/oeffentliche-angebote/

 

 

Bericht über die 2. Online Dis/Ability-Forschungswerkstatt

Am 5. Mai 2023 fand zum zweiten Mal die Österreichische Online Inter- und Transdisziplinäre Dis/Ability-Forschungswerkstatt statt. Ziel der Veranstaltung war vor allem die Vernetzung und die Verbreitung der vielfältigen Projekte im Bereich der emanzipatorischen Behinderungsforschung in Österreich. Heuer stand die Forschungswerkstatt im Zeichen des 15-jährigen Jubiläums des Inkrafttretens des UN-Übereinkommens über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-BRK). Dies geschah am 3. Mai 2008 nachdem, wie in der Konvention festgelegt, diese von 20 Staaten ratifiziert worden war. Fast 75 Personen nahmen an der Veranstaltung teil, verfolgten die Beiträge der Vortragenden aus einer Vielzahl von Disziplinen und brachten sich in rege Diskussionen ein. Alle Beiträge wurden simultan in Schrift und ÖGS übersetzt.

Den ersten Slot zum Thema Hochschule moderierte Matthias Forstner. Zuerst referierte Michaela Joch (WU Wien) in ihrem Beitrag über Inklusions- und Exklusionsmechanismen in der akademischen Wissenschaft aus der Sicht von Menschen mit Behinderungen, die wissenschaftlich tätig sind. Theresa M. Straub (Uni Innsbruck) legte sodann ihren Fokus auf Studierende mit Behinderungen und ihre Sichtweisen, wie die Aufnahme zum Studium sowie dessen und Abschluss gelingen. Ein Fokus lag dabei auf den diesbezüglichen Barrieren im System Universität.

Slot 2 zu (Geschlechter-)Vielfalt moderierte Rahel More. Julia Seuschez (Uni Klagenfurt) präsentiere die Ergebnisse ihrer Forschung zu Intersexualität und Geschlechtsidentität im Kontext des Ullrich-Turner-Syndroms und verband diese mit dem Konzept des Otherings. Im darauffolgenden Beitrag wies Kassandra Ruhm (Uni Bremen) darauf hin, dass für Menschen mit Behinderungen ungleiche Chancen für die Nutzung von Psychotherapie und psychosozialer Beratung bestehen. Um mehr Anbieter:innen von Beratungsarbeit dazu zu ermutigen, auch mit Menschen mit Behinderungen zu arbeiten, erarbeitete sie eine Broschüre, die aufzeigt, wie in solchen SituationenVielfalt und Intersektionalität erreicht werden kann und welche Faktoren diesbezüglich zu beachten sind.

Nach der Mittagspause moderierte Andreas Jeitler Slot 3 zu Partizipation. Lisa Maria Hofer (Uni Linz) stellte erste Ergebnisse ihres Disability History Forschungsprojekt mit einem partizipativen Zugang vor. Im Fokus ihrer Forschung steht die Geschichte des Linzer ‚Taubstummeninstituts‘ von 1818-1919. Nikolaus Hauer und Helga Fasching (Uni Wien) präsentierten ein von ihnen erfolgreich umgesetztes Projekt, als Beispiel, wie universitäre Lehre partizipativ gestaltet werden kann. Dabei berichteten sie auch von den verwendeten Methoden.

Am Ende der Veranstaltung moderierte Angela Wegscheider eine offene Diskussion zu Partizipation an und in der Wissenschaft. Anleitend für die Diskussion war das DiStA Positionspapier zu Disability Studies in Österreich. Während sich schon nach den einzelnen Beiträgen sehr interessante und kurzweilige Interaktionen ereigneten kam es auch nun zu einer regen Beteiligung der Anwesenden, die trotz allerschönstem Frühlingswetter noch immer zahlreich anwesend waren.

Wir danken allen Teilnehmenden und Vortragenden für die gemeinsame Veranstaltung und planen für das Sommersemester 2024 eine Wiederholung.

Das Organisationsteam,

Matthias Forstner, Andreas Jeitler, Rahel More und Angela Wegscheider

 

Ein sozial-ökologisches Inklusionsmodell für die Urbane Landwirtschaft in Wien

Von Sophie Schaffernicht

Die Zielgruppe der Dissertation,eingereicht an der BOKU, mit dem Titel „Inklusion von Menschen mit Behinderungen in der Urbanen Landwirtschaft in Wien“ waren Menschen, die in Tagesstrukturen arbeiten und betreut werden. Diese Personen fehlen weitestgehend in den Diskussionen über urbane Landwirtschaft, obwohl landwirtschaftliche Tätigkeiten unter bestimmten Umständen viele positive Effekte haben können. Verschiedene Programme im städtischen Gartenbau konnten beispielsweise in der Vergangenheit den Weg auf den Ersten Arbeitsmarkt ebnen. Für die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention – insbesondere der Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen – sind Bildung und Arbeit zentrale Punkte. Menschen mit Behinderungen sind jedoch gegenwärtig oft von diesen Bereichen ausgeschlossen und werden an einer wirklichen Teilhabe an der Gesellschaft gehindert. In dieser Studie wurde hauptsächlich nach den Hindernissen für Inklusionsprozesse im Gartenbau Ausschau gehalten. An einem Pilotprojekt zu urbaner Landwirtschaft und Inklusion in Wien nahmen eine Universität, drei Sozialeinrichtungen mit sieben Mitarbeiter*innen, zwei Gartenbaubetriebe mit zwei Betriebsleiter*innen sowie fünfzehn Menschen mit Behinderungen teil. Aktionsforschung wurde im Rahmen der Tomatenernte wissenschaftlich begleitet und dabei evaluiert sowie modifiziert. Zur gleichen Zeit war die Autorin bestrebt einen Beitrag im Sinne der Grounded Theory zu leisten. Eine mögliche Lösung für künftige Studien ist das Miteinbeziehen von Co-Forscher*innen (Menschen mit Behinderungen), um Forschung im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention inklusiv zu gestalten. Angebote im Bereich der urbanen Landwirtschaft sollten über reine Kooperationen zwischen Sozialeinrichtungen und Gartenbaubetrieben hinausgehen. Ein sozial-ökologisches Szenario mit agrarökologischen Inklusionsbetrieben erscheint sinnvoll. Die Etablierung mehrerer solcher Inklusionsbetriebe im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention in Wien könnte die Stadt den Zielen der nachhaltigen Entwicklung ein Stück näherbringen.

Bild oben: Lebenshilfe Wien

Sophie Schaffernicht

MellowYellow – Soziale Wirkung durch Kunst

MellowYellow Interventionen in einer Schule

Von Alfons Bauernfeind (Institut für partizipative Sozialforschung, Wien), über seinen Beitrag präsentiert in der DiStA-Forschungswerkstatt:

Das Projekt MellowYellow verfolgt das Ziel, mit künstlerischen Methoden Diversität, Inklusion und künstlerische Offenheit als selbstverständliche Praxis in Österreichs Schulen zu etablieren. MellowYellow vermittelt in der Tanzkunstszene anerkannte Mixed-Abled Künstler*innen Teams an Schulen, um Aktionstage bzw. Aktionswochen abzuhalten.

Die beiden Formate bestehen aus drei unterschiedlichen Interventionen (Informance, bewegte Gespräche, Resonanztreffen), die darauf abzielen, dass Lehrkräfte und Schüler*innen ihre Einstellungen über Menschen mit Behinderungen reflektieren und neu bewerten. Das Wissen über das Alltagsleben von Menschen mit Behinderungen soll aufgebaut und Unsicherheiten im Umgang abgebaut werden. Dadurch könnten neue und diversere Vorbilder entstehen, da Menschen mit Behinderungen als Führungspersonen wahrgenommen werden. Lehrer*innen entdecken neue künstlerische Methoden, die sie in die Schulpraxis einführen könnten, Schüler*innen finden einen neuen Zugang zu Kreativität und ihrem Körperempfinden.

MellowYellow hat seit 2017 bis zum Ausbruch der Covid-19 Pandemie 3.039 Schüler*innen in 148 Klassen von 80 Schulen erreicht. Um die Corona-bedingte Unterbrechung der Schulaktivitäten produktiv zu nutzen, wurde der Aktivitätsschwerpunkt des Jahres 2020 auf die soziale Wirkungsmessung gelegt.  Es wurde ein Wirkungsmodell (IOOI-Modell nach Phineo, Kurz und Kubek 2017) auf Basis von MellowYellow internen Workshops erstellt und 21 Leitfaden-gestützte Telefoninterviews mit Lehrkräften durchgeführt, die zwischen 2017 und 2020 MellowYellow Interventionen in ihren Schulen erlebt haben. Die Auswertung und inhaltliche Codierung der Interviews erfolgten im Vier-Augen-Prinzip. Sie wurde gemäß der Inhaltsanalyse nach Mayring (2015) vorgenommen. Neben qualitativen Auswertungen wurden auch frequenzanalytische Auszählungen durchgeführt.

Alfons Bauernfeind studierte (Musik-) Soziologie in Wien. Seit 2013 ist er freischaffender Soziologe und Musiker, Mitbegründer des Instituts für partizipative Sozialforschung (2016) sowie der measury Sozialforschung OG (2018) und Leiter einer Forschungswerkstatt an der FH für Soziale Arbeit Wien (2021). Seine Arbeitsschwerpunkte sind soziale Wirkungsmessung und partizipative Begleitforschung von sozial- innovativen Unternehmungen.