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Studie zur Darmkrebsvorsorge für Menschen mit Lernschwierigkeiten: Ergebnisse und Empfehlungen

Inklusion in der Darmkrebsvorsorge: Eine dringende Notwendigkeit

Darmkrebs stellt eine bedeutende Gesundheitsgefahr für alle Menschen und auch für Menschen mit Lernschwierigkeiten bzw. mit intellektuellen Beeinträchtigungen dar. Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass Menschen mit Lernschwierigkeiten deutlich seltener an Darmkrebsvorsorgeprogrammen teilnehmen. Hier besteht ein klarer Handlungsbedarf: Inklusive und barrierefreie Vorsorgeangebote müssen geschaffen werden, um die gesundheitliche Ungleichheit zu reduzieren.

Barrieren bei der Teilnahme an Vorsorgeuntersuchungen

Die Studie hat eine Reihe von Barrieren identifiziert, die die Teilnahme von Menschen mit Lernbehinderungen an der Darmkrebsvorsorge behindern. Ein zentrales Hindernis ist die fehlende Aufklärung über Vorsorgeuntersuchungen, insbesondere in leicht verständlicher Sprache. Zudem empfinden sie, wie viele Menschen auch, negative Emotionen, wie Angst und Scham, bei medizinischen Untersuchungen, was oft zur Ablehnung von Vorsorgeangeboten führt. Auch systemische Defizite, wie der Mangel an barrierefreien Arztpraxen und fehlende spezifische Schulungen des medizinischen Personals, erschweren den Zugang zur Gesundheitsversorgung.

Empfehlungen zur Verbesserung der Vorsorge

Basierend auf den Erkenntnissen der Studie wird empfohlen, ein flächendeckendes, inklusives Darmkrebsvorsorgeprogramm zu entwickeln. Dieses sollte die Bedürfnisse von Menschen mit Lernschwierigkeiten mitdenken, indem leicht verständliche Informationsmaterialien bereitgestellt und unterstützende Strukturen geschaffen werden. Zudem ist es wichtig, dass das medizinische Personal gezielt für den Umgang mit Menschen mit Behinderungen geschult wird, um negative Erfahrungen zu minimieren und das Vertrauen in die medizinische Versorgung zu stärken. Nur durch solche Maßnahmen kann die Darmkrebssterblichkeit bei dieser besonders vulnerablen Gruppe nachhaltig gesenkt werden.

Die Studie kann hier in leichter und schwerer Sprache heruntergeladen werden.

INNklusion: Entwicklung von Assistenzlösungen für eine inklusivere Zukunft

Von Heidi ULM, studentische Mitarbeiterin an der Universität Innsbruck

Laut dem Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz leben rund 20 Prozent der österreichischen Bevölkerung mit einer Behinderung1. Trotz der seit knapp 15 Jahren bestehenden UN-Behindertenrechtskonvention, mangelt es nach wie vor an ausreichendem Zugang zu Assistenzlösungen2. Die Initiative INNklusion setzt sich dafür ein, diese Herausforderungen zu bewältigen, indem sie Menschen mit Behinderungen, Studierende, Expert*innen und Organisationen zusammenbringt. Durch verschiedene Lehrveranstaltungen an der Universität Innsbruck entwickeln Studierende im Co-Design Prozess gemeinsam mit Menschen mit Behinderungen maßgeschneiderte Assistenzlösungen.

Aufbau und Struktur der Lehrveranstaltung

Um bedarfsgerechte und innovative Assistenzlösungen verwirklichen zu können, werden vor Beginn der Lehrveranstaltung Ideen für Entwicklungen von Menschen mit Behinderungen, Interessensvertretungen oder Vereine gesammelt. In den ersten Terminen werden Teams aus Studierenden unterschiedlicher Fachrichtungen, Fachexpert*innen aus Wissenschaft und Praxis, und Personen mit Behinderung gebildet, die ihre Idee einbringt. Im Mittelpunkt steht immer die ideengebende Person mit ihrer Perspektive, der Expertise der eigenen Lebensrealität und Bedürfnissen an die Assistenzlösung. Dieses sogenannte Co-Design garantiert die bedarfsorientierte Entwicklung gut funktionierender Hilfsmittel.

In wöchentlichen Treffen sammeln die Teams in einem iterativen Prozess Ideen, erarbeiten Konzepte, entwickeln und testen Prototypen, und setzen so die vielversprechendste Idee um. Unterstützung erhalten die Teams von den Fachexpert*innen aus Bereichen wie Ingenieurwesen, Marketing oder Ergotherapie, sowie den Lehrveranstaltungsleitenden.

Erfolgreiche Assistenzlösungen

Zu den bereits umgesetzten Assistenzlösungen zählen ein Haargummi für Menschen mit einem Arm, eine Vorrichtung für den Wasserkocher zum Ausgießen von heißem Wasser für Menschen mit Mobilitätseinschränkung oder ein Kommunikationstool für eine Person mit Locked-In-Syndrom. Neben technischen Assistenzlösungen werden übergreifende Projekte bearbeitet, die Barrieren des öffentlichen Raums abbauen sollen. Ein Beispiel hierfür ist die “Stille Stunde” für den Tiroler Lebensmittelhandel. Bei der „Stillen Stunde“ werden sensorische Reize in Supermärkten reduziert, um ein angenehmes Kauferlebnis vor allem für Menschen im Autismus-Spektrum oder neurosensitive Menschen zu gewährleisten.Weitere ausgewählte Beispiele der entwickelten Assistenzlösungen oder laufender Entwicklungen finden sich auf der Webseite von INNklusion.

Pro Semester werden etwa drei Ideen bearbeitet, wobei der Fortschritt jeder Entwicklung aufgrund des Umfangs, der technischen Komplexität sowie der begrenzten Bearbeitungszeit von einem Semester unterschiedlich ausfallen kann. In diesen Fällen kann es in darauffolgenden Semestern, im Rahmen von Bachelor- oder Masterarbeiten sowie von studentischen Mitarbeitenden fertig gestellt werden. Das Ziel von INNklusion bleibt dennoch die Entwicklung individueller und bedarfsorientierte Lösungen bzw. Konzepte.

Fazit nach eineinhalb Jahren INNklusion

Für INNklusion, als junge Initiative hat die stetige Reflexion und Verbesserung der eigenen Arbeit einen hohen Stellenwert. Aus diesem Grund hat das Team von INNklusion 13 halbstrukturierte Interviews mit Teilnehmer*innen aus der Lehrveranstaltung (4 Menschen mit Behinderungen, 5 Studierende, 2 Fachexpert*innen aus dem Bereich Assistenztechnologien, 1 persönliche Assistentin, 1 Behindertenbeauftragte) geführt und die Ergebnisse analysiert. Die Interviews zeigen, dass die Studierenden den direkten Kontakt zu den Endnutzer*innen der Assistenzlösungen aufgrund des schnellen Einholens von Feedback als positiv und wertvoll für die Entwicklung betrachteten. Auch die Interdisziplinarität der Teams wurde geschätzt und als Erleichterung für das Erarbeiten neuer Ideen eingestuft. Die interviewten Menschen mit Behinderungen fühlten sich in ihrer Expertise und Fähigkeiten ernst genommen und wertgeschätzt. 10 Personen aus verschiedenen Interessengruppen betonten die positiven Auswirkungen der Initiative auf die Sensibilisierung und das erweiterte Verständnis der Teilnehmenden für Behinderungen und Behindertenfeindlichkeit in der Gesellschaft3.

Neben der Lehrveranstaltung finden in einem regelmäßigen Intervall sogenannte Ideencafés statt. Diese ermöglichen das Kennenlernen und den Austausch von Ideen aller Interessierten. Das Format wurde als idealer Zusatz zur Lehrveranstaltung bewertet. Zwei interviewte Menschen mit Behinderung waren der Meinung, dass solche Veranstaltungen die Hemmschwelle, um über Wünsche und Bedürfnisse von Assistenzlösungen zu reden, reduzieren. Das Ideencafé soll deshalb auch weiterhin regelmäßig stattfinden, und als fester Bestandteil der Initiative dem persönlichen Austausch und Vernetzen dienen.

Zukünftige Herausforderungen und Ziele

Die Interviews verdeutlichen, dass viele Teilnehmer*innen für das Thema Inklusion bereits sensibilisiert sind. Es bleibt eine Herausforderung Menschen zu erreichen, die bislang keinen Kontakt mit Behinderung hatten. Das Team von INNklusion setzt sich im Rahmen der Initiative ein, die Öffentlichkeits- und Netzwerkarbeit zu verstärken und Inklusionsprojekte auch in Lehrveranstaltungen anderer Fakultäten zu integrieren.

Die Einbindung von Themen wie Behinderung und Barrierefreiheit in die akademische Ausbildung und der aktive Austausch zwischen Studierenden und Menschen mit Behinderungen tragen dazu bei, ein tieferes Verständnis und eine nachhaltige Sensibilisierung zu erreichen.

Heidi ULM hielt eine Präsentation zu diesem Thema bei der DiStA Forschungswerkstatt 2024 am 21. Juni an der Universität Graz.

Quellen:

1 Bundesministerium Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz (2016): Bericht der Bundesregierung über die Lage der Menschen mit Behinderungen in Österreich 2016.

2 Hartley, Sally. (2011). World Report on Disability (WHO). 10.13140/RG.2.1.4993.8644

3Schmermbeck, K., Ott, O., Ralfs, L., & Weidner, R. (2024). Fostering Inclusion: A Regional Initiative Uniting Communities to Co-Design Assistive Technologies. CoRR, abs/2403.12263. https://doi.org/10.48550/ARXIV.2403.12263

Studium „all inclusive“?

Weiterhin bestehende Barrieren und eine enge Leistungsdefinition. Wie utopisch ist inklusive Bildung an den österreichischen Universitäten?

Die letzten Jahre haben eine Vielzahl von Änderungen im Universitätsrecht mit sich gebracht, welche eine weitgehende Autonomie der Unis zur Folge hatte und sich in einem verstärkten – durchaus globalen – Wettbewerb um knappe Ressourcen zeigt. Ebenso erkennbar ist es an den Anforderungen, die an die Studierenden gestellt werden. Igea Troiani & Claudia Dutson unterstreichen, dass es an einer neoliberal geprägten Universität vor allem um Effizienz, schnelle Abschlüsse und rasche Vermittelbarkeit am Arbeitsmarkt geht. Es gibt Mindeststudienzeiten, eine Mindeststudienleistung mit Sperrfrist und es gibt Meilensteine, die durchaus das Potential zu Hürden haben (z.B. die Studieneingangsphase). Insgesamt ist das System „Studium“ an einem Durchschnitt ausgerichtet, der sich in sehr engen Grenzen bewegt, was Zeit, Energie und andere Ressourcen betrifft.

Demgegenüber steht nun aber die von Österreich ratifizierte UN-Behindertenrechtskonvention. Diese fordert ein diskriminierungsfreies und inklusives Studieren für alle. Inklusion bedeutet in diesem Kontext mehr, als nur Menschen mit Behinderungen „in die ausgrenzende Gesellschaft“ einzuschließen, wie Marianne Hirschberg & Swantje Köbsell betonen. Sie unterscheidet sich damit klar von integrativen Bildungskonzepten. Zusätzlich dazu hat an den Universitäten „Diversity & Inclusion“ stark an Bedeutung zugenommen. Gleichstellung und Diversitätsmanagement werden als „wesentliche Bestandteile der gesellschaftlichen Verantwortung der Universitäten“ gesehen, wie das Bildungsministerium schreibt. Best Practice Maßnahmen finden sich z.B. unter den mit dem Diversitas-Preis ausgezeichneten Universitäten.

Die Situation der Studierenden in Österreich

Wie gestaltet sich also die aktuelle Situation der Studierenden mit Behinderungen an den österreichischen Universitäten, die ja gemäß Studierendensozialerhebung in etwa 12% ausmachen? Es gibt zwar so genannte Nachteilsausgleiche wie z.B. die Prüfungszeitverlängerung, die sehr wesentlich und wichtig sind – gleichzeitig führen diese aber nicht dazu, dass sich das System verändert. Es wird von einem individuellen Problem, einem „Nachteil“, ausgegangen, den die Person geltend machen muss, um durch unterstützende Maßnahmen in das System, das als weitgehend neutral betrachtet wird, eingepasst zu werden. Also eher Integration als Inklusion.

Dass Studierende ihren „Nachteil“ geltend machen müssen, bedeutet, dass sie sich erklären und ihre Nachteilsausgleiche selbst aushandeln müssen. Nur eine Diagnose zu nennen, schafft kein vollumfängliches Verständnis für die erlebten Behinderungen im Studienalltag. Und da kommt es natürlich stark auf das Gegenüber an. Ist das Gegenüber verständnisvoll und offen oder denkt vielleicht, ich will mich vor etwas drücken? Hat die Person, die Kompetenz und die Ressourcen, um die Unterstützung erfolgreich umzusetzen? Kann ich meine Bedürfnisse überhaupt so kommunizieren, dass ich die Unterstützung bekomme, die ich brauche? Weiß ich überhaupt was ich brauche? Auch ein wichtiger Punkt, vor allem, wenn keine Vorerfahrung besteht. Und natürlich – Bedarfe können sich im Zeitlauf auch ändern, Hilfsmittel können aufhören zu funktionieren oder die bauliche Barrierefreiheit ist nicht mehr gegeben, weil man in einem anderen Gebäude studiert oder gerade eine Baustelle vor Ort ist.

Gleichzeitig wurde vom Rechnungshof Österreich, im Hinblick auf die DSGVO empfohlen, keine Diagnosen von den Studierenden mehr einzuholen, sondern sich ausschließlich konkrete Auswirkungen auf den Studienalltag bestätigen zu lassen, was an einigen Universitäten bereits umgesetzt wurde. So oder so können Diagnoseprozesse, die für die Ausstellung eines solchen Attestes dennoch weiterhin wesentlich sind, lange dauern. Dies kann Studierende in eine schwierige Position bringen, wenn sich eine Lücke zwischen tatsächlichem Bedarf und fehlender „Legitimation“ ergibt.

An den österreichischen Unis gibt es eigene Anlaufstellen mit Behindertenbeauftragten, die erfahrungsgemäß sehr engagiert sind und eben sowohl die Kompetenz, als auch die nötigen Mittel zur Umsetzung von Unterstützungsmaßnahmen haben. Aber selbst im besten Fall ist der Zugang zu Nachteilsausgleichen damit verbunden, dass man seine Behinderungen bekannt gibt – was nicht alle Studierenden wollen. Die sich teils leider immer noch bewahrheitende Befürchtung ist, dass man dadurch Nachteile erlebt, anders  behandelt wird oder verletzende Aussagen hören muss. Gerade Studierende mit psychischen Erkrankungen sind hiervon betroffen, was sich ebenfalls im Zusatzbericht der Studierendensozialerhebung gezeigt hat. Manche beschließen auch, nur einen Teil der Behinderungen preiszugeben, um in die enge Leistungsdefinition zu passen.

Überdies wurde aufgezeigt, wie viel Mehraufwand es mit sich bringen kann, durch diese individualisierende Sichtweise für sich selbst zugänglichere Studienbedingungen zu schaffen. Nicht nur die Faktoren „Zeit“ und „Energie“ waren wesentlich, sondern auch emotionale Aspekte, wie eben die Offenlegung der Behinderungen oder das Gefühl bzw. die Sorge, andere mit den Bedarfen „zu stressen“ oder keinen Anspruch zu haben. Hinzu kommen bürokratische Angelegenheiten, die außerhalb der universitären Sphäre liegen und die etwa die Beantragung von Behindertenpass, Pflegegeld, Transport- oder Asssistenzleistungen betreffen.

Im Zuge meiner Interviews für die Dissertation wurden weiterhin bestehende bauliche Barrieren genannt. Darunter fällt u.a., dass Stiegengeländer nicht stabil waren, es einzelne hohe Stufen gab, Aufzüge nicht in alle Stockwerke fuhren, Rampen zu steil oder Türbeschriftungen zu klein waren. Ebenso braucht es ein vermehrtes Anbieten von Schriftdolmetschung, eine zugänglichere Laborumgebung und einen Abbau technischer Barrieren.

Von Barrierefreiheit profitieren alle

Insgesamt ergeben sich einige Ansatzpunkte, um im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention die Barrierefreiheit für alle von vornherein zu erhöhen und damit auch jene abzuholen, die ohne Unterstützung zu suchen, aus dem System ausscheiden würden. Das beginnt bereits vor der Lehrveranstaltung – bei der Gestaltung zugänglicher Curricula, Unterrichtsmaterialien und Universitätsgebäude. Denn eine interviewte Person hat sehr schön auf den Punkt gebracht, was vielfach implizit oder explizit geäußert wurde:

„Ich will ja auch nicht, dass da jetzt immer ganz speziell für mich Lösungen gefunden werden. Da bin ich auch irgendwie müde. Ich hätte gerne, dass es von Haus aus geht. Dass es auch darauf ausgerichtet ist, dass Menschen mit Einschränkungen das machen.“

Eine aus meiner Sicht sehr positive Entwicklung ist, dass Behindertenbeauftragte sich vermehrt explizit an Studierende mit chronischen Erkrankungen richten, da hier oftmals gar nicht das Bewusstsein besteht, dass man zur Gruppe der Studierenden mit Behinderungen gehört.

Darüber hinaus wurden die Lehrenden als wesentliche Ansprechpersonen von Studierenden genannt, weshalb spezielle Trainings zu inklusivem Unterrichten hilfreich sein können. Barrierefreiheit sollte hier weiter gedacht werden, denn auch die Hörsaalgröße, die Belichtung, die Akustik, die didaktischen Methoden, Zeit, Zeitpunkt und Zeitrahmen haben einen Einfluss auf die Lernenden. Hinzu kommen noch unvorhergesehene Studienunterbrechungen und die Frage, wie damit umgegangen wird. Ferner ist die Studienorganisation wesentlich, dazu zählen z.B. Anmeldeverfahren, die Prüfungsdichte oder die Regelung der Anwesenheitspflicht. In diesem Kontext ist die Online-Lehre, die während der Pandemie relativ flächendeckend ermöglicht wurde, besonders hervorzustreichen. Natürlich wird hier in einigen Fällen gleichfalls von Barrieren berichtet, die sich gravierend auf den Studienerfolg auswirken können oder Präsenz wird aus verschiedensten Gründen von den Lernenden präferiert. Mir ist es dennoch ein Anliegen, mich für eine Beibehaltung – und kontinuierliche Optimierung – der geschaffenen Strukturen einzusetzen. Und zwar nicht als reines Entweder/Oder, sondern als wertfreie Ergänzung. Für all jene, die aus gesundheitlichen Gründen phasenweise oder eventuell für die Dauer des restlichen Studiums, nicht in Präsenz teilnehmen können.

Mein Wunsch, der in naher Zukunft hoffentlich KEINE Utopie mehr ist, wäre, dass sich der Blickwinkel auf Studierende mit Behinderungen verschiebt. Dass Beeinträchtigungen nicht mehr als individuelles Defizit gesehen werden, sondern die strukturellen Behinderungen überdacht werden. Nimmt man die UN-Behindertenrechtskonvention als Richtschnur, sollte das Ziel sein, eine Kultur und ein Lernumfeld zu schaffen, die die Diversität von allen Lernenden versteht und fördert. Dazu gehört, die Zugänglichkeit in allen Belangen von vornherein größtmöglich zu erhöhen. Was nicht nur den Studierenden mit Behinderungen zugute kommen würde  – eine Rampe beim Haupteingang hilft darüber hinaus jenen, die z.B. mit Kinderwägen unterwegs sind oder größere Ausrüstung transportieren müssen. Und auch wenn es in einigen Fällen weiterhin sehr wichtig sein würde, individuelle Lösungen zu finden, würde die Notwendigkeit der Offenlegung von Beeinträchtigungen zum Großteil obsolet werden, da Studierende frei wählen könnten und somit die Chance geringer wäre, dass sie überhaupt „behindert werden“. Denn eines zeigen Sheryl E. Burgstahler & Rebecca C. Corey: dass Nachteilsausgleiche jenen helfen, die sie brauchen und an der Leistung der anderen wenig verändern. Gleiches lässt sich für die generelle und in einem breiten Sinne gedachte Zugänglichkeit der einzelnen Studiengänge, sowie der Universitäten feststellen.

Autorin Michaela Joch beschäftigt sich in ihrer Doktorarbeit (WU WIEN) mit der universitären Zugänglichkeit. Dieser Artikel ist gekürzt in progress 01/2024 erschienen.

Erklärung: Die Definition von Behinderung in diesem Artikel richtet sich nach der UN-Behindertenrechtskonvention. Weiters wird zwischen Beeinträchtigungen – z.B. Erkrankungen, Erblindung, Gehörlosigkeit, etc. – und Behinderungen unterschieden. Behinderungen entstehen im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention erst durch die Wechselwirkungen zwischen dieser Beeinträchtigung und den Barrieren in der Umwelt bzw. Gesellschaft. Man spricht hier auch von „behindert werden“.

Forschung zu Inklusiver Krebsvorsorge

Was braucht es, um Gleichberechtigung in der Gesundheitsvorsorge zu gewährleisten? Was hindert Menschen mit intellektuellen Beeinträchtigungen (IB) an der Krebsvorsorge teilzunehmen? Welche Faktoren müssen gefördert werden, um Menschen mit IB einen leichten Zugang zur Krebsvorsorge zu ermöglichen? Diesen Fragen möchten wir mit unserer Forschung zu inklusiver Krebsvorsorge auf den Grund gehen.

Unsere Forschung

Die Arbeitsgruppe Intellektuelle Beeinträchtigungen der Universität Wien beschäftigt sich mit Fragen zu psychologischen, sozialen und strukturellen Faktoren im Zusammenhang mit Menschen mit Intellektuellen Beeinträchtigungen (IB). Die Forschungsgruppe wurde von Elisabeth Zeilinger gegründet und gibt dem Thema Intellektuelle Beeinträchtigungen an der Fakultät für Psychologie einen Raum. Eines unserer aktuellen Forschungsprojekte befasst sich mit Gesundheitsvorsorge. Zur Forschungsgruppe: https://klinische-gesundheit-psy.univie.ac.at/forschung/arbeitsbereiche-und-arbeitsgruppen/intellektuelle-beeintraechtigungen/

Die Leitung der Projekte liegt sowohl an der Universität Wien als auch im Haus der Barmherzigkeit in der Abteilung für Klinische Forschung im Pflegekrankenhaus Seeböckgasse. Durch die bereichernde Kooperation als auch Grants der „Österreichische Gesellschaft für Hämatologie & Medizinische Onkologie (OeGHO; PN ASHO-2022)“ sowie einer Förderung des „Fonds der Stadt Wien für interdisziplinäre Krebsforschung (PN 22230)“ können zwei Projekte zur inklusiven Krebsvorsorge umgesetzt werden.

Hintergrund zur Forschung

Österreich hat im Jahr 2008 die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) der Vereinten Nationen ratifiziert. Bei der Staatenprüfung Österreichs durch den UN-Ausschuss im August 2023 wurden große Defizite und sogar Rückschritte bei der Umsetzung der UN-BRK festgestellt. Die Datenlage ist unzureichend, um die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen angemessen zu erfassen. Sowohl das BMSGPK (2022) als auch das Monitoring Committee (2023) haben kritische Handlungsempfehlungen ausgesprochen.

Internationale Studien zeigen, dass Menschen mit IB im Durchschnitt einen schlechteren Zugang zur Gesundheitsversorgung haben. Ihr allgemeiner Gesundheitszustand ist schlechter, sie haben mehr Gesundheitsprobleme und eine kürzere Lebenserwartung (bspw. Glover et al., 2017; Perera et al., 2020). Frauen mit IB sind aufgrund von Mehrfachdiskriminierungen und spezifischen Gesundheitsrisiken eine besonders gefährdete Gruppe, was dazu führt, dass sie in Bezug auf die Gesundheitsversorgung generell unterversorgt sind (Noonan-Walsh & Heller, 2002; United Nations, 2006). Die Lebenserwartung von Menschen mit IB ist in den letzten Jahrzehnten gestiegen, was jedoch zu einem erhöhten Krebsrisiko führt, und Aufmerksamkeit erfordert (Lin et al., 2016; Ng et al., 2015; Patja et al., 2000). Krebs wird bei Menschen mit IB häufig erst im fortgeschrittenen Stadium diagnostiziert und die Prognose ist entsprechend schlecht, was vor allem auf die späte Diagnose zurückzuführen ist (bspw. Satgé et al., 2014, 2020). Darüber hinaus weisen Menschen mit IB häufiger Risikofaktoren für Krebs auf (bspw. Trétarre et al., 2017; Walsh et al., 2021; Willis et al., 2018). Internationale Studien zeigen zudem, dass Menschen mit IB seltener an Krebsvorsorge teilnehmen (Cuypers et al., 2022; Sykes et al., 2022).
Daher wäre die regelmäßige Teilnahme an Krebsfrüherkennungsprogrammen eine wichtige Präventionsmaßnahme, um die Krebssterblichkeit zu senken. Um eine gerechte Krebsvorsorge und -versorgung zu erreichen, muss ein gleichberechtigter und inklusiver Zugang zu Vorsorgeprogrammen gewährleistet sein.

Projekte

Die Projekte befassen sich damit Daten über die Teilnahme von Menschen mit IB an Krebsvorsorgeuntersuchungen zu erheben und Faktoren zu ermitteln, die mit einer Teilnahme in Verbindung stehen. Konkret geht es in dem Projekt um:

  1. Darmkrebsvorsorge bei Personen mit IB

Obwohl Darmkrebs zu den häufigsten Krebsarten und krebsbedingten Todesursachen gehört, gibt es derzeit kein bundesweit organisiertes Vorsorgeprogramm. Jedoch gibt es derzeit Initiativen zur Entwicklung eines österreichweiten Darmkrebs-Vorsorgeprogramms. Zudem existieren bereits Pilotprojekte mit verschiedenen Ansätzen in Vorarlberg und Burgenland. Eine österreichweite Einführung des Vorsorgeprogramms bietet die Möglichkeit einer inklusiven Gestaltung von Beginn an.

  1. Brustkrebsvorsorge bei Frauen mit IB

Ein bundesweites kostenloses Brustkrebs-Früherkennungsprogramm wurde 2014 eingeführt mit dem Ziel der Früherkennung von Brustkrebs, Verbesserung von Heilungschancen und folglich einer Verringerung der Sterblichkeitsrate von Brustkrebs. Alle in Österreich versicherten Frauen zwischen 45 und 74 Jahren erhalten alle zwei Jahre ein Einladungsschreiben. Das Screening besteht auch einer Mammographie und einem möglichen Ultraschall. Allerdings nutzen nur rund 41% der Frauen das Angebot. Von Frauen mit IB gibt es in Österreich keine Daten weder bezüglich der Brustkrebsinzidenz noch -mortalität oder der Teilnahme am Brustkrebs-Früherkennungsprogramm.

Bei den Projekten interessiert uns sowohl die Perspektive von Menschen mit IB als auch deren Betreuungspersonen. Mit Hilfe von Interviews und Fokusgruppen möchten wir mehr erfahren über die Erfahrungen von Menschen mit IB bei der Krebsvorsorge erfahren. Uns interessierten Faktoren, die die Teilnahme an der Krebsvorsorge hindern und fördern. Wir wollen Voraussetzungen und Bedürfnisse für einen gleichberechtigten Zugang zu Gesundheitsversorgung identifizieren. Mit einem zusätzlichen österreichweiten Online-Fragebogen für Einrichtungsleiter*innen als auch Unterstützungspersonen wollen wir Teilnahmeraten am Brustkrebs-Früherkennungsprogramm als auch verbundene Faktoren auf quantitativer Ebene untersuchen.

Erhöhte Lebenserwartung von Menschen mit IB und hohe Sterblichkeit durch Krebserkrankungen führen dazu, dass dieses Thema von großer Bedeutung ist. Mit den Ergebnissen unserer Forschung möchten wir Handlungsempfehlungen an Politik, Gesundheitspersonal, Menschen mit IB und Interessierte geben. Unser Ziel ist es darüber hinaus Handlungsempfehlungen für die bessere Umsetzung der UN-BRK Ziele zu liefern. Mit unserer Forschung möchten wir Daten über die Situation von Menschen mit IB in Österreich gewinnen und zur inklusiven Gesundheitsvorsorge beitragen.

Unsere Arbeitsgruppe

Arbeitsgruppe mit 9 Personen

v.l.: Mara Hilbert, Sebastian Kabas, Sarah Jasmin Landskron, Elisabeth Lucia Zeilinger, Sophie Komenda-Schned, Paula Moritz, Alma Herscovici, Julia Lehner, Theresa Wagner, Amelie Fuchs, (Johannes Polwin)

Unser Team wird von Priv.-Doz.in Mag.a Dr.in Elisabeth Lucia Zeilinger geleitet. Theresa Wagner ist hauptverantwortlich für die wissenschaftliche Umsetzung der beiden beschriebenen Projekte und behandelt diese im Rahmen ihrer Dissertation. Alma Herscovici und Amelie Fuchs unterstützen als Projektmitarbeiterinnen die Durchführung der Projekte. Außerdem werden wir laufend von Praktikant*innen unterstützt. Derzeit sind Sebastian Kabas, Mara Hilbert und Johannes Polwin Teil unseres Teams.

Autorin: Theresa Wagner (Univ. Wien)

Referenzen

BMSGPK. (2022). Nationaler Aktionsplan Behinderung 2022–2030.

Glover, G., Williams, R., Heslop, P., Oyinlola, J., & Grey, J. (2017). Mortality in people with intellectual disabilities in England. Journal of Intellectual Disability Research, 61(1), 62–74. https://doi.org/10.1111/jir.12314  

Cuypers, M., Schalk, B. W. M., Boonman, A. J. N., Naaldenberg, J., & Leusink, G. L. (2022). Cancer-related mortality among people with intellectual disabilities: A nationwide population-based cohort study. Cancer, 128(6), 1267–1274. https://doi.org/10.1002/cncr.34030

Lin, J.-D., Lin, L.-P., & Hsu, S.-W. (2016). Aging People with Intellectual Disabilities: Current Challenges and Effective Interventions. Review Journal of Autism and Developmental Disorders, 3(3), 266–272. https://doi.org/10.1007/s40489-016-0082-0

Monitoring Ausschuss. (2023). Monitoring-Bericht 2023.

Ng, N., Sandberg, M., & Ahlström, G. (2015). Prevalence of older people with intellectual disability in Sweden: A spatial epidemiological analysis. Journal of Intellectual Disability Research, 59(12), 1155–1167. https://doi.org/10.1111/jir.12219

Noonan-Walsh, P., & Heller, T. (2002). Health of Women with Intellectual Disabilities. John Wiley & Sons.

Patja, K., Iivanainen, M., Vesala, H., Oksanen, H., & Ruoppila, I. (2000). Life expectancy of people with intellectual disability: A 35-year follow-up study. Journal of Intellectual Disability Research, 44(5), 591–599. https://doi.org/10.1046/j.1365-2788.2000.00280.x

Perera, B., Audi, S., Solomou, S., Courtenay, K., & Ramsay, H. (2020). Mental and physical health conditions in people with intellectual disabilities: Comparing local and national data. British Journal of Learning Disabilities, 48(1), 19–27. https://doi.org/10.1111/bld.12304

Satgé, D., Axmon, A., Trétarre, B., Sandberg, M., & Ahlström, G. (2020). Cancer diagnoses among older people with intellectual disability compared with the general population: A national register study. Journal of Intellectual Disability Research, 64(8), 579–588. https://doi.org/10.1111/jir.12734

Satgé, D., Sauleau, E.-A., Jacot, W., Raffi, F., Azéma, B., Bouyat, J.-C., & El Hage Assaf, N. (2014). Age and stage at diagnosis: A hospital series of 11 women with intellectual disability and breast carcinoma. BMC Cancer, 14(1), Article 1. https://doi.org/10.1186/1471-2407-14-150  

Sykes, K., Tuschick, E., Giles, E. L., Kanmodi, K. K., & Barker, J. (2022). A protocol to identify the barriers and facilitators for people with severe mental illness and/or learning disabilities for PErson Centred Cancer Screening Services (PECCS). PLOS ONE, 17(11), e0278238. https://doi.org/10.1371/journal.pone.0278238

Trétarre, B., Bourgarel, S., Stoebner-Delbarre, A., Jacot, W., Bessaoud, F., & Satge, D. (2017). Breast cancer and screening in persons with an intellectual disability living in institutions in France. Journal of Intellectual Disability Research, 61(3), 266–278. https://doi.org/10.1111/jir.12336

United Nations. (2006). Convention on the Rights of Persons with Disabilities. United Nations.

Walsh, S., O’Mahony, M., Lehane, E., Farrell, D., Taggart, L., Kelly, L., Sahm, L., Byrne, A., Corrigan, M., Caples, M., Martin, A., Tabirca, S., Corrigan, M., & Hegarty, J. (2021). Cancer and breast cancer awareness interventions in an intellectual disability context: A review of the literature. Journal of Intellectual Disabilities, 25(1), 131–145. https://doi.org/10.1177/1744629519850999

Willis, D., Samalin, E., & Satgé, D. (2018). Colorectal Cancer in People with Intellectual Disabilities. Oncology, 95(6), 323–336. https://doi.org/10.1159/000492077

Haus der Barmherzigkeit

Jetzt anmelden zur Dis/Ability-Forschungswerkstatt

Zum dritten Mal sind Studierende und Wissenschaftler*innen, die im Sinne der Disability Studies forschen, eingeladen, sich auszutauschen und zu vernetzen. Ein Ziel von Disability Studies Austria (DiStA) ist es, die Disability Studies in der österreichischen Forschungslandschaft sichtbarer zu machen. Wir gehen davon aus, dass es in vielen Wissenschaftsdisziplinen möglich ist, kritisch und emanzipatorisch zu Behinderung(en) zu forschen und zu lehren. Dazu wurde ein Positionspapier veröffentlicht.

Heuer steht die DiStA-Forschungswerkstatt im Zeichen des 30-jährigen Jubiläums vom Zentrum Integriert Studieren an der Universität Graz. Die Forschungswerkstatt soll das breite Spektrum der aktuellen Dis/Ability Forschung in Österreich an Universitäten, Pädagogischen Hochschulen, Fachhochschulen und darüber hinaus aufzeigen. Mit diesem CfP wollen die Organisator*innen möglichst viele Disziplinen und Personengruppen (von Studierenden bis hin zu arrivierten Wissenschaftler-innen) ansprechen und einladen. Es können daher z.B. sowohl Masterarbeitsforschungen als auch Projektideen, Diskussionsinputs, Forschungsergebnisse, Methodenanwendung oder (entstehende) Publikationsprojekte vorgestellt werden. Die Teilnahme ist auch als Zuhöre*-in und Mitdiskutant*in ohne eigenen Beitrag möglich.

Die Forschungswerkstatt soll für die Teilnehmer-innen vernetzungsfördernd und ideengebend sein. Wir bieten dazu eine niederschwellige Veranstaltung mit Workshop-Charakter an: in 10-minütigen Slots werden die Beiträge vorgestellt und anschließend von den Anwesenden diskutiert und kommentiert. Zur Rahmung der Veranstaltung sind heuer auch kurze inhaltliche Vorträge zur Anregung eines Austausches zu den Dis/Ability Studies geplant.

Wann: Freitag, 21. Juni 2024, 10:00 bis ca. 15:00 Uhr

Ort: Universität Graz, RESOWI-Gebäude, Bauteil C, EG, LS 15.01, Universitätsstraße 15, 8010 Graz und hybrid (Link wird den angemeldeten Teilnehmer*innen bekanntgegeben)

Anmeldung:

Bitte melden Sie sich über dieses Online-Formular bis spätestens Freitag, den 17. Mai 2024 an, und geben Sie bekannt, ob Sie

  1. aktiv mit einem eigenen Beitrag teilnehmen. Senden Sie dazu bitte Ihren Titelvorschlag und eine halbe Seite Beschreibung Ihres Beitrages ein. Eine Rückmeldung an aktiv gemeldete Teilnehmer*innen erfolgt bis Ende Mai 2024.
  2. ohne eigenen Beitrag als Zuhörer*in teilnehmen.
  3. Bedarfe bzgl. der Barrierefreiheit der Veranstaltung (z.B. ÖGS-Dolmetsch) haben.

Das finale Programm wird Anfang Juni 2024 via Forschungswerkstatt-Internetseite veröffentlicht.

Die Forschungswerkstatt wird von Disability Studies Austria (DiStA) und der Universität Graz in Kooperation mit uniability und den Universitäten Linz und Klagenfurt organisiert.

Fragen zu Barrierefreiheit oder Inhalt? Per Mail andista-fowe@uniability.org

Das Organisationsteam:

Matthias Forstner+, Andreas Jeitler, Barbara Levc, Rahel More und Angela Wegscheider

+ Verstorben am 8. März 2024

Save-the-date: 3. DiStA-Forschungswerkstatt, 21. Juni 2024

Ankündigung der Forschungswerkstatt

Am 21. Juni 2024 wird zum dritten Mal die Österreichische Inter- und Transdisziplinäre Dis/Ability-Forschungswerkstatt stattfinden. Dieses Mal wird die Veranstaltung präsent in Graz und gleichzeitig hybrid via Zoom sein. Denn steht sie im Zeichen des 30-jährigen Jubiläums vom Zentrum Integriert Studieren an der Universität Graz.

Ziel der Forschungswerkstatt ist vor allem die Vernetzung und die Verbreitung der vielfältigen Projekte im Bereich der emanzipatorischen Behinderungsforschung in Österreich. Ein Call for Papers sowie Informationen zur Anmeldung für interessierte Zuhörer-innen und Mitdiskutant-innen wird in Kürze auf dieser Seite veröffentlicht.

Die Forschungswerkstatt richtet sich an Angehörige von Universitäten, Pädagogischen Hochschulen und Fachhochschulen sowie an alle an Disability Studies Interessierten. Die Organisator-innen möchten möglichst viele Disziplinen und Personengruppen (von Studierenden bis hin zu etablierten Wissenschaftler-innen) ansprechen und zur Teilnahme einladen.

Auschnitt Kurzbericht Selbstbestimmtes Leben in Tirol in Leichter Lesen

Studie „Selbstbestimmtes Wohnen für Menschen mit Behinderungen in Tirol“

Petra Flieger hat im Auftrag des Tiroler Monitoringausschusses eine explorative Studie zum Thema „Selbstbestimmtes Wohnen für Menschen mit Behinderungen in Tirol“ erstellt. Diese basiert auf der dritten Stellungnahme „Wohnen in Tirol – Teil 3: Wohnen wie alle Menschen. Handreichung für selbstbestimmtes inklusives Wohnen und Deinstitutionalisierung“ aus dem Jahr 2021. Ziel der im Sinne der aktivierenden Sozialforschung konzipierten Studie war es, die Umsetzung und Realisierung von selbstbestimmtem Wohnen für Menschen mit Behinderungen zu untersuchen.

Die Studie ist auf der Website des Tiroler Monitoringausschusses in Langfassung, Kurzfassung und in Leichter Sprache abrufbar: https://www.tirol.gv.at/gesellschaft-soziales/gleichbehandlung-antidiskriminierung/tiroler-monitoringausschuss/veroeffentlichungen/

Die Studie analysiert verschiedene Aspekte des Wohnens, darunter bauliche Gegebenheiten, Unterstützungsangebote und soziale Integration. Mit Hilfe von Interviews wurden insbesondere die Erfahrungen und Perspektiven von Betroffenen, aber auch von Personen aus der Landesverwaltung und -politik erhoben. Die Ergebnisse sollen den Status quo darstellen, für das Thema sensibilisieren und eine Grundlage für die nächsten Schritte zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention in Tirol bilden.

Der Bericht zeigt thematisch differenziert mögliche Barrieren für selbstbestimmtes Wohnen und Benachteiligungen auf, zieht Vergleiche zur Situation von Menschen ohne Behinderungen und formuliert Empfehlungen zur Verbesserung der Wohnsituation von Menschen mit Behinderungen in Tirol. Die Ergebnisse geben Einblick in bestehende Ungleichbehandlungen und Fremdbestimmungen. Die Interviewaussagen spiegeln ein ungleiches Machtverhältnis und eine ungleiche Verteilung der Handlungsräume zwischen Menschen mit Behinderungen, den Einrichtungen bzw. Dienstleistern und deren Mitarbeiter-innen sowie der Verwaltung, die Leistungen bewilligt, wider. Im Gegensatz zu den Befragten aus Landesverwaltung und -politik leben Menschen mit Behinderungen deutlich seltener alleine oder mit Familienangehörigen, sondern häufig mit anderen Menschen mit Behinderungen in einer Gruppe zusammen. Die Mitbewohner-innen sind in den meisten Fällen nicht selbst gewählt. Das Wohnen in einer Einrichtung ist deutlich stärker von Fremdbestimmung geprägt als das Wohnen in einem Privathaushalt mit oder ohne andere Menschen. Der Wohnalltag in Einrichtungen ist in den meisten Fällen durch die Regeln der Gruppe oder Betreuer-innen fremdbestimmt. Auch die Haushaltsführung kann kaum individuell beeinflusst werden. Ihre Lebenssituation ist durch wenig Außenkontakte oder Aktivitäten außerhalb der Einrichtung gekennzeichnet. Dies trifft vor allem auf Menschen mit einem hohen Unterstützungsbedarf und kognitiver oder mehrfacher Behinderung zu.

Die Ergebnisse zeigen Herausforderungen und Chancen im Bereich des selbstbestimmten Wohnens für Menschen mit Behinderungen in Tirol auf und dienen als Grundlage für zukünftige Maßnahmen, wie z.B. die Notwendigkeit der Erarbeitung einer Deinstitutionalisierungsstrategie auf Landesebene, die Notwendigkeit des Lernens von Empowerment und Selbstbestimmung sowie des Austausches durch soziale Netzwerke.

Forschungsvorhaben “The World Will Finally See Us as We Are”—Dis/ability and Life Writing: Taking Control of the Narrative in Alice Wong’s Year of the Tiger (2022)

Von Laura Nadine Hochsteiner

Fremdbestimmung und Paternalismus prägten und prägen auch heute noch das Leben von Menschen mit Behinderungen (vgl. Couser 2005; 2017). Beispielsweise im medizinischen Bereich wird häufig auf Basis rückständigen Denkens und menschenverachtender Vorstellungen darüber verfügt, welches Leben als „wertvoll“ und „lebenswert“ zu erachten sei (vgl. United Nations, Department of Economic and Social Affairs). Das medizinische Setting ist nur als einer von vielen Bereichen anzuführen, in denen Menschen mit Behinderungen ihrer Stimme beraubt wurden bzw. werden. Doch Bevormundung, Diskriminierung und Ausgrenzung wurden und werden nicht einfach hingenommen und erduldet.

Analyse einer First-Person-Geschichte

In den letzten Jahren hat die Beschreibung der eigenen Erfahrungs- und Erlebniswelt in Form von autobiographischen Darstellungen dazu beigetragen, dass Menschen mit Behinderungen vermehrt Gehör finden und öffentlich inhumane, menschenunwürdige Narrative anprangern können (Couser 2005:603f.; Smith und Watson 2010:141–145). Diese „Life Narratives“ – wie sie in der Literaturwissenschaft genannt werden – dienen oftmals aktivistischen Bestrebungen (vgl. Smith/Watson 2010:142). Auch Alice Wong, die US-amerikanische Behindertenrechtsaktivistin und Herausgeberin des Sammelbandes Disability Visibility (2020), versucht mit ihren Memoiren, welche mit dem Titel Year of the Tiger (2022) versehen wurden, Aufklärungsarbeit (in den USA) zu betreiben und so die Situation von Menschen mit Behinderungen zu verbessern. Wongs Werk wird im Zuge der Masterarbeit, die den Arbeitstitel „‚The World Will Finally See Us as We Are‘—Dis/ability and Life Writing: Taking Control of the Narrative in Alice Wong’s Year of the Tiger (2022)“ trägt, untersucht.

Die Qualifikationsschrift, welche dem Fach American Studies zuzuordnen ist, ergründet folgende Forschungsfragen: Wie wird Wongs eigene Erfahrung als Mensch mit Behinderungen und ihr persönliches Erleben von Ableismus im gegenwärtigen US-amerikanischen Kontext in ihrem Werk dargestellt? Wie wird die Vorstellung eines „lebenswerten Lebens“ in ihrem Text hinterfragt? Auf welche Art und Weise wird Intersektionalität, insbesondere im Hinblick auf „gender“ und „race/ethnicity“, in Verbindung mit Behinderung in Year of the Tiger beschrieben? Zur Beantwortung dieser Forschungsfragen wird das gewählte Werk mithilfe theoretischer Grundlagen und konzeptueller Werkzeuge der Critical Disability Studies und der Life Writing Studies einem Close Reading unterzogen.

Begründung des Forschungsvorhabens

Ziel der Arbeit ist es, zu verdeutlichen, dass Behinderung in Wongs Memoiren als eine alternative Lebensweise verstanden wird, welche einzigartige und wertvolle Erkenntnisse zum menschlichen Dasein liefert. Auch soll gezeigt werden, dass Wongs Lebensgeschichte als aktivistisches Instrument gebraucht wird.

Die Relevanz dieses Forschungsvorhabens liegt in seinem Potenzial begründet, auf Erfahrungen von Behinderung und Ableismus in der heutigen Zeit aufmerksam zu machen und so zur Bewusstseinsbildung und Aufklärung beizutragen. Zuzüglich soll mit dieser Arbeit ein (bescheidener) Beitrag dazu geleistet werden, die Disability Studies in Österreich vermehrt in der (US-amerikanischen) Literaturwissenschaft zu verankern, was wiederum die „Profilierung der Disability Studies als eigenständiges Fach“ erleichtern soll (Köbsell 2020:67).

Laura Nadine Hochsteiner absolvierte die Bachelorstudien Anglistik/Amerikanistik (Alpen-Adria-Universität Klagenfurt) und Transkulturelle Kommunikation (Karl-Franzens-Universität Graz). Aktuell belegt sie die Masterstudien Konferenzdolmetschen (Karl-Franzens-Universität) und Joint Degree in English/American Studies (Karl-Franzens-Universität Graz und Università Ca‘ Foscari Venezia).

Couser, G. Thomas (1997) Recovering Bodies. Illness, Disability, and Life Writing. Madison: The University of Wisconsin Press.

Couser, G. Thomas (2005) „Disability, Life Narrative, and Representation“, in: PMLA 120:2, 602–606.

Couser, G. Thomas (52017) „Disability, Life Narrative, and Representation“, in: Davis, Lennard J. (ed.) The Disability Studies Reader. New York/London: Routledge, 450–453.

Köbsell, Swantje (2022) „Entstehung und Varianten der deutschsprachigen Disability Studies“, in: Waldschmidt, Anne (ed.) Handbuch Disability Studies. Wiesbaden: Springer VS, 55–71.

Smith, Sidonie/Watson, Julia (22010) Reading Autobiography. A Guide for Interpreting Life Narratives. Minneapolis/London: University of Minnesota Press.

United Nations, Department of Economic and Social Affairs [o.J.] „Five Things You Need to Know about Living with a Disability during COVID-19“, in: https://www.un.org/en/desa/five-things-you-need-know-about-living-disability-during-covid-19 [31.10.2023].

Wong, Alice (2022) Year of the Tiger. An Activist’s Life. New York: Vintage Books.

Wong, Alice (ed.) (2020) Disability Visibility. First-Person Stories from the Twenty-First Century. New York: Vintage Books.

Politik gestaltet Bildungswege

Lisa Maria Dickinger, Absolventin des Studiums Sozialwirtschaft an der Johannes Kepler Universität Linz, hat eine Masterarbeit zu Schulerfahrungen von Menschen mit Behinderungen im Zeitverlauf erstellt. Der Zeitraum der Untersuchung umfasste die 1950er bis zu den 2000er Jahren.

In ihrer Arbeit geht Dickinger der Frage nach, wie sich die bildungs- und sozialpolitischen Maßnahmen in Bezug auf Schule und die Erfahrungen in der Schule für Menschen mit Behinderungen über die Zeit verändert haben und welche Barrieren, Herausforderungen, aber auch Möglichkeiten sich daraus ergaben. Sie hat sich dazu zuerst mit den gesetzlichen Rahmenbestimmungen zur Schulbildung und zur Sozialpolitik von Kindern mit Behinderungen von den 1950er bis zu den 2000er Jahren befasst. Dann hat sie die Passagen aus zehn lebensgeschichtlichen Interviews ausgewertet und die Ergebnisse miteinander verglichen.

Die Interviews mit dem Schwerpunkt Leben mit Behinderung(en) wurden im Auftrag der Österreichischen Mediathek und in Kooperation mit dem Lern- und Gedenkort Schloss Hartheim gesammelt: Fünf Männer und fünf Frauen erzählten ihre Biografie. Sie sprachen von Kindheit und Familie, von Feiertagen und Reisen, von Schulausbildung und Hobbies, von Beziehungen und Arbeitsalltag sowie von Sehnsüchten, Wünschen und Träumen. Die zehn Interviews sind in der Mediathek als Audio- oder Videointerview gesammelt zugänglich.

Link zur Masterarbeit

ERC Grant zur Erforschung des Zugangs zu Technologien von Menschen mit Behinderungen

Katta Spiel hat einen ERC Starting Grant für die Erforschung von Zugang zu Technologien bekommen. Katta Spiel wird mit dem einreichten Projekt ACCESSTECH – Experiencing Access with Interactive Technologies erforschen, wie Menschen mit Behinderung ihren Zugang zu Technologien wahrnehmen. 

ERC Starting Grants sind im Wettbewerb vergebene Förderungen für junge Wissenschaftler-innen, die noch am Beginn ihrer wissenschaftlichen Karriere stehen, aber bereits exzellente Leistungen vollbracht haben. Mit der hochdotierten Förderung sollen sie die Möglichkeit erhalten, sich mit einer eigenen Forschungsgruppe an der internationalen Spitze zu positionieren. Katta, wir gratulieren dir herzlich und freuen uns sehr!

Abstract des einreichten Projektes und die dazugehörige Forschung:

How is access experienced in interaction with modern technologies? Human-Computer Interaction (HCI) has a tradition of asking questions around functionality in the context of assistive and accessible technologies. However, the additionalaspects of lived experiences with disabilities are often secondary to the questions and interests driven by non-disabled researchers. This approach risks producing artefacts that might be functionally accessible, but are deemed as undesirable, unwanted oreven harmful by disabled communities themselves. With an increased move towards digitising aspects of our everyday lives, there is an urgent need to understand the fundamentals of how access can be conceptualised, implemented and flexible to situated engagements. ACCESSTECH investigates the deeper theories behind access as a component affecting interaction with technologies for disabled people through Participatory Research through Design. Drawing on the PI’s outstanding track record in critical analysis and participatorydesign practices within HCI (including 14 award-winning papers), we approach experiences of access along four paths of inquiry: 1) We identify the needed research and design parameters enabling us to produce knowledges about access-enabling technologies. 2)We establish which methods are required to design and develop critical technologies that are rooted in disability cultures as well as accepted and desired by disabled people. 3) We explore a range of different technologies to understand how they afford differentkinds of access experiences. 4) We conceptualise and articulate access experiences as a distinct aspect shaping the interactive characteristics of modern technologies on a theoretical level. Each of these paths informs disability centred practices and theoriesin HCI, though, collectively, ACCESSTECH represents a fundamental paradigm shift in the ways we encounter disabilities and technologies.

Katta Spiel ist Assistent Professor am Institut für Visual Computing and Human-Centered Technology an der TU Wien. Mehr Infos zur Person: https://informatics.tuwien.ac.at/people/katta-spiel