Schlagwort-Archive: Medizin

Studie zur Darmkrebsvorsorge für Menschen mit Lernschwierigkeiten: Ergebnisse und Empfehlungen

Inklusion in der Darmkrebsvorsorge: Eine dringende Notwendigkeit

Darmkrebs stellt eine bedeutende Gesundheitsgefahr für alle Menschen und auch für Menschen mit Lernschwierigkeiten bzw. mit intellektuellen Beeinträchtigungen dar. Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass Menschen mit Lernschwierigkeiten deutlich seltener an Darmkrebsvorsorgeprogrammen teilnehmen. Hier besteht ein klarer Handlungsbedarf: Inklusive und barrierefreie Vorsorgeangebote müssen geschaffen werden, um die gesundheitliche Ungleichheit zu reduzieren.

Barrieren bei der Teilnahme an Vorsorgeuntersuchungen

Die Studie hat eine Reihe von Barrieren identifiziert, die die Teilnahme von Menschen mit Lernbehinderungen an der Darmkrebsvorsorge behindern. Ein zentrales Hindernis ist die fehlende Aufklärung über Vorsorgeuntersuchungen, insbesondere in leicht verständlicher Sprache. Zudem empfinden sie, wie viele Menschen auch, negative Emotionen, wie Angst und Scham, bei medizinischen Untersuchungen, was oft zur Ablehnung von Vorsorgeangeboten führt. Auch systemische Defizite, wie der Mangel an barrierefreien Arztpraxen und fehlende spezifische Schulungen des medizinischen Personals, erschweren den Zugang zur Gesundheitsversorgung.

Empfehlungen zur Verbesserung der Vorsorge

Basierend auf den Erkenntnissen der Studie wird empfohlen, ein flächendeckendes, inklusives Darmkrebsvorsorgeprogramm zu entwickeln. Dieses sollte die Bedürfnisse von Menschen mit Lernschwierigkeiten mitdenken, indem leicht verständliche Informationsmaterialien bereitgestellt und unterstützende Strukturen geschaffen werden. Zudem ist es wichtig, dass das medizinische Personal gezielt für den Umgang mit Menschen mit Behinderungen geschult wird, um negative Erfahrungen zu minimieren und das Vertrauen in die medizinische Versorgung zu stärken. Nur durch solche Maßnahmen kann die Darmkrebssterblichkeit bei dieser besonders vulnerablen Gruppe nachhaltig gesenkt werden.

Die Studie kann hier in leichter und schwerer Sprache heruntergeladen werden.

Forschung zu Inklusiver Krebsvorsorge

Was braucht es, um Gleichberechtigung in der Gesundheitsvorsorge zu gewährleisten? Was hindert Menschen mit intellektuellen Beeinträchtigungen (IB) an der Krebsvorsorge teilzunehmen? Welche Faktoren müssen gefördert werden, um Menschen mit IB einen leichten Zugang zur Krebsvorsorge zu ermöglichen? Diesen Fragen möchten wir mit unserer Forschung zu inklusiver Krebsvorsorge auf den Grund gehen.

Unsere Forschung

Die Arbeitsgruppe Intellektuelle Beeinträchtigungen der Universität Wien beschäftigt sich mit Fragen zu psychologischen, sozialen und strukturellen Faktoren im Zusammenhang mit Menschen mit Intellektuellen Beeinträchtigungen (IB). Die Forschungsgruppe wurde von Elisabeth Zeilinger gegründet und gibt dem Thema Intellektuelle Beeinträchtigungen an der Fakultät für Psychologie einen Raum. Eines unserer aktuellen Forschungsprojekte befasst sich mit Gesundheitsvorsorge. Zur Forschungsgruppe: https://klinische-gesundheit-psy.univie.ac.at/forschung/arbeitsbereiche-und-arbeitsgruppen/intellektuelle-beeintraechtigungen/

Die Leitung der Projekte liegt sowohl an der Universität Wien als auch im Haus der Barmherzigkeit in der Abteilung für Klinische Forschung im Pflegekrankenhaus Seeböckgasse. Durch die bereichernde Kooperation als auch Grants der „Österreichische Gesellschaft für Hämatologie & Medizinische Onkologie (OeGHO; PN ASHO-2022)“ sowie einer Förderung des „Fonds der Stadt Wien für interdisziplinäre Krebsforschung (PN 22230)“ können zwei Projekte zur inklusiven Krebsvorsorge umgesetzt werden.

Hintergrund zur Forschung

Österreich hat im Jahr 2008 die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) der Vereinten Nationen ratifiziert. Bei der Staatenprüfung Österreichs durch den UN-Ausschuss im August 2023 wurden große Defizite und sogar Rückschritte bei der Umsetzung der UN-BRK festgestellt. Die Datenlage ist unzureichend, um die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen angemessen zu erfassen. Sowohl das BMSGPK (2022) als auch das Monitoring Committee (2023) haben kritische Handlungsempfehlungen ausgesprochen.

Internationale Studien zeigen, dass Menschen mit IB im Durchschnitt einen schlechteren Zugang zur Gesundheitsversorgung haben. Ihr allgemeiner Gesundheitszustand ist schlechter, sie haben mehr Gesundheitsprobleme und eine kürzere Lebenserwartung (bspw. Glover et al., 2017; Perera et al., 2020). Frauen mit IB sind aufgrund von Mehrfachdiskriminierungen und spezifischen Gesundheitsrisiken eine besonders gefährdete Gruppe, was dazu führt, dass sie in Bezug auf die Gesundheitsversorgung generell unterversorgt sind (Noonan-Walsh & Heller, 2002; United Nations, 2006). Die Lebenserwartung von Menschen mit IB ist in den letzten Jahrzehnten gestiegen, was jedoch zu einem erhöhten Krebsrisiko führt, und Aufmerksamkeit erfordert (Lin et al., 2016; Ng et al., 2015; Patja et al., 2000). Krebs wird bei Menschen mit IB häufig erst im fortgeschrittenen Stadium diagnostiziert und die Prognose ist entsprechend schlecht, was vor allem auf die späte Diagnose zurückzuführen ist (bspw. Satgé et al., 2014, 2020). Darüber hinaus weisen Menschen mit IB häufiger Risikofaktoren für Krebs auf (bspw. Trétarre et al., 2017; Walsh et al., 2021; Willis et al., 2018). Internationale Studien zeigen zudem, dass Menschen mit IB seltener an Krebsvorsorge teilnehmen (Cuypers et al., 2022; Sykes et al., 2022).
Daher wäre die regelmäßige Teilnahme an Krebsfrüherkennungsprogrammen eine wichtige Präventionsmaßnahme, um die Krebssterblichkeit zu senken. Um eine gerechte Krebsvorsorge und -versorgung zu erreichen, muss ein gleichberechtigter und inklusiver Zugang zu Vorsorgeprogrammen gewährleistet sein.

Projekte

Die Projekte befassen sich damit Daten über die Teilnahme von Menschen mit IB an Krebsvorsorgeuntersuchungen zu erheben und Faktoren zu ermitteln, die mit einer Teilnahme in Verbindung stehen. Konkret geht es in dem Projekt um:

  1. Darmkrebsvorsorge bei Personen mit IB

Obwohl Darmkrebs zu den häufigsten Krebsarten und krebsbedingten Todesursachen gehört, gibt es derzeit kein bundesweit organisiertes Vorsorgeprogramm. Jedoch gibt es derzeit Initiativen zur Entwicklung eines österreichweiten Darmkrebs-Vorsorgeprogramms. Zudem existieren bereits Pilotprojekte mit verschiedenen Ansätzen in Vorarlberg und Burgenland. Eine österreichweite Einführung des Vorsorgeprogramms bietet die Möglichkeit einer inklusiven Gestaltung von Beginn an.

  1. Brustkrebsvorsorge bei Frauen mit IB

Ein bundesweites kostenloses Brustkrebs-Früherkennungsprogramm wurde 2014 eingeführt mit dem Ziel der Früherkennung von Brustkrebs, Verbesserung von Heilungschancen und folglich einer Verringerung der Sterblichkeitsrate von Brustkrebs. Alle in Österreich versicherten Frauen zwischen 45 und 74 Jahren erhalten alle zwei Jahre ein Einladungsschreiben. Das Screening besteht auch einer Mammographie und einem möglichen Ultraschall. Allerdings nutzen nur rund 41% der Frauen das Angebot. Von Frauen mit IB gibt es in Österreich keine Daten weder bezüglich der Brustkrebsinzidenz noch -mortalität oder der Teilnahme am Brustkrebs-Früherkennungsprogramm.

Bei den Projekten interessiert uns sowohl die Perspektive von Menschen mit IB als auch deren Betreuungspersonen. Mit Hilfe von Interviews und Fokusgruppen möchten wir mehr erfahren über die Erfahrungen von Menschen mit IB bei der Krebsvorsorge erfahren. Uns interessierten Faktoren, die die Teilnahme an der Krebsvorsorge hindern und fördern. Wir wollen Voraussetzungen und Bedürfnisse für einen gleichberechtigten Zugang zu Gesundheitsversorgung identifizieren. Mit einem zusätzlichen österreichweiten Online-Fragebogen für Einrichtungsleiter*innen als auch Unterstützungspersonen wollen wir Teilnahmeraten am Brustkrebs-Früherkennungsprogramm als auch verbundene Faktoren auf quantitativer Ebene untersuchen.

Erhöhte Lebenserwartung von Menschen mit IB und hohe Sterblichkeit durch Krebserkrankungen führen dazu, dass dieses Thema von großer Bedeutung ist. Mit den Ergebnissen unserer Forschung möchten wir Handlungsempfehlungen an Politik, Gesundheitspersonal, Menschen mit IB und Interessierte geben. Unser Ziel ist es darüber hinaus Handlungsempfehlungen für die bessere Umsetzung der UN-BRK Ziele zu liefern. Mit unserer Forschung möchten wir Daten über die Situation von Menschen mit IB in Österreich gewinnen und zur inklusiven Gesundheitsvorsorge beitragen.

Unsere Arbeitsgruppe

Arbeitsgruppe mit 9 Personen

v.l.: Mara Hilbert, Sebastian Kabas, Sarah Jasmin Landskron, Elisabeth Lucia Zeilinger, Sophie Komenda-Schned, Paula Moritz, Alma Herscovici, Julia Lehner, Theresa Wagner, Amelie Fuchs, (Johannes Polwin)

Unser Team wird von Priv.-Doz.in Mag.a Dr.in Elisabeth Lucia Zeilinger geleitet. Theresa Wagner ist hauptverantwortlich für die wissenschaftliche Umsetzung der beiden beschriebenen Projekte und behandelt diese im Rahmen ihrer Dissertation. Alma Herscovici und Amelie Fuchs unterstützen als Projektmitarbeiterinnen die Durchführung der Projekte. Außerdem werden wir laufend von Praktikant*innen unterstützt. Derzeit sind Sebastian Kabas, Mara Hilbert und Johannes Polwin Teil unseres Teams.

Autorin: Theresa Wagner (Univ. Wien)

Referenzen

BMSGPK. (2022). Nationaler Aktionsplan Behinderung 2022–2030.

Glover, G., Williams, R., Heslop, P., Oyinlola, J., & Grey, J. (2017). Mortality in people with intellectual disabilities in England. Journal of Intellectual Disability Research, 61(1), 62–74. https://doi.org/10.1111/jir.12314  

Cuypers, M., Schalk, B. W. M., Boonman, A. J. N., Naaldenberg, J., & Leusink, G. L. (2022). Cancer-related mortality among people with intellectual disabilities: A nationwide population-based cohort study. Cancer, 128(6), 1267–1274. https://doi.org/10.1002/cncr.34030

Lin, J.-D., Lin, L.-P., & Hsu, S.-W. (2016). Aging People with Intellectual Disabilities: Current Challenges and Effective Interventions. Review Journal of Autism and Developmental Disorders, 3(3), 266–272. https://doi.org/10.1007/s40489-016-0082-0

Monitoring Ausschuss. (2023). Monitoring-Bericht 2023.

Ng, N., Sandberg, M., & Ahlström, G. (2015). Prevalence of older people with intellectual disability in Sweden: A spatial epidemiological analysis. Journal of Intellectual Disability Research, 59(12), 1155–1167. https://doi.org/10.1111/jir.12219

Noonan-Walsh, P., & Heller, T. (2002). Health of Women with Intellectual Disabilities. John Wiley & Sons.

Patja, K., Iivanainen, M., Vesala, H., Oksanen, H., & Ruoppila, I. (2000). Life expectancy of people with intellectual disability: A 35-year follow-up study. Journal of Intellectual Disability Research, 44(5), 591–599. https://doi.org/10.1046/j.1365-2788.2000.00280.x

Perera, B., Audi, S., Solomou, S., Courtenay, K., & Ramsay, H. (2020). Mental and physical health conditions in people with intellectual disabilities: Comparing local and national data. British Journal of Learning Disabilities, 48(1), 19–27. https://doi.org/10.1111/bld.12304

Satgé, D., Axmon, A., Trétarre, B., Sandberg, M., & Ahlström, G. (2020). Cancer diagnoses among older people with intellectual disability compared with the general population: A national register study. Journal of Intellectual Disability Research, 64(8), 579–588. https://doi.org/10.1111/jir.12734

Satgé, D., Sauleau, E.-A., Jacot, W., Raffi, F., Azéma, B., Bouyat, J.-C., & El Hage Assaf, N. (2014). Age and stage at diagnosis: A hospital series of 11 women with intellectual disability and breast carcinoma. BMC Cancer, 14(1), Article 1. https://doi.org/10.1186/1471-2407-14-150  

Sykes, K., Tuschick, E., Giles, E. L., Kanmodi, K. K., & Barker, J. (2022). A protocol to identify the barriers and facilitators for people with severe mental illness and/or learning disabilities for PErson Centred Cancer Screening Services (PECCS). PLOS ONE, 17(11), e0278238. https://doi.org/10.1371/journal.pone.0278238

Trétarre, B., Bourgarel, S., Stoebner-Delbarre, A., Jacot, W., Bessaoud, F., & Satge, D. (2017). Breast cancer and screening in persons with an intellectual disability living in institutions in France. Journal of Intellectual Disability Research, 61(3), 266–278. https://doi.org/10.1111/jir.12336

United Nations. (2006). Convention on the Rights of Persons with Disabilities. United Nations.

Walsh, S., O’Mahony, M., Lehane, E., Farrell, D., Taggart, L., Kelly, L., Sahm, L., Byrne, A., Corrigan, M., Caples, M., Martin, A., Tabirca, S., Corrigan, M., & Hegarty, J. (2021). Cancer and breast cancer awareness interventions in an intellectual disability context: A review of the literature. Journal of Intellectual Disabilities, 25(1), 131–145. https://doi.org/10.1177/1744629519850999

Willis, D., Samalin, E., & Satgé, D. (2018). Colorectal Cancer in People with Intellectual Disabilities. Oncology, 95(6), 323–336. https://doi.org/10.1159/000492077

Haus der Barmherzigkeit