Behinderung wird in westlichen Kulturen als Tragödie für Individuen und Bürden für Familien und Gesellschaft angesehen. Diese Annahmen basieren auf dem individuell-medizinischen Modell von Behinderungen. Das Modell fokussiert auf den Mangel an sensorischen, mentalen und physischen Fähigkeiten. Diese Annahmen gehen von der Konstruktion eines gesunden und nicht-behinderten Körpers aus. Das Modell basiert auf einem klinischen Blick, um die Behinderung eines Individuums zu beschreiben. Es bestehen konstruierte Normen im Bereich der Entwicklung und Fähigkeiten, in welchem Menschen beurteilt werden. Dieses Modell führt zu einer dehumanisierenden Sichtweise, bei welcher lediglich die Art und Schwere der Beeinträchtigung zentral sind. Das Ziel innerhalb dieses Modells ist es, die Behinderung zu reduzieren oder „richtig zu stellen“. Menschen mit Behinderungen werden über ihre vermeintliche Nicht-Normalität definiert bzw. kategorisiert. Somit stellt dieses Modell das Individuum als „Opfer“ oder „Problem“ dar (Waldschmidt, 2005, 15 -17).
Zahlreiche Menschen mit Behinderungen lehnen dieses Modell mit u.a. der Begründung ab, dass dies zu einem geringen Selbstwertgefühl, schlechter Bildung und hohen Arbeitslosigkeitsraten führe. Es resultiere außerdem in der Segregation von Menschen mit Behinderung, indem es natürliche Beziehungen mit Familien, Communities und der Gesellschaft trenne. Da die medizinische oder individuelle Herangehensweise zu Emotionen wie Angst oder Mitleid führe, kennt die Gesellschaft traditionell Menschen mit Behinderungen nicht als Teil dieser an. So wird die Finanzierung für essentielle Leistungen und Gegenstände für Menschen mit Behinderungen oft durch wohltätige Organisationen und Veranstaltungen erreicht – was die Vorstellung von behinderten Menschen als passive Empfänger_innen untermauert. Ein weiteres Problem ist die Hegemonie der Medizin, welche eine Allmacht darstellt, dass ihnen einerseits eine scheinbare Expert_innendominanz einräumt, und andererseits Entscheidungen für existenz- abhängige Förderungen trifft (Grochar, 2020, 30).
Von Pia Grochar
Grochar, P. (2020). Imagination, Inklusion und das inszenierte Ich. Darstellungen von Behinderung und Geschlecht in Graphic Memoirs. Wien: Universität Wien.
Waldschmidt, A. (2005). Disability Studies: Individuelles, soziales und/oder kulturelles Modell von Behinderung? Psychologie und Gesellschaftskritik, 29(1), 9–31.