Die Autorinnen Carmen Waltena-Bergmann und Angela Wegscheider untersuchten das Risiko von Einkommensarmut in österreichischen Haushalten mit Menschen mit Behinderungen. Dabei zeigen die Ergebnisse, dass dieses erhöhte Armutsrisiko nicht durch andere Faktoren wie Bildung, Erwerbstätigkeit oder Migrationshintergrund erklärt werden kann. Vielmehr spricht vieles für eine strukturelle Benachteiligung und Vorurteile, die unabhängig von sozio-demografischen Merkmalen wirkt.
Der Artikel kurz zusammengefasst:
Er untersucht das Risiko von Einkommensarmut in österreichischen Haushalten, in denen mindestens ein Mitglied eine Behinderung aufweist. Basierend auf Daten der European Union Statistics on Income and Living Conditions (EU-SILC 2022) wird analysiert, warum diese Haushalte stärker von Armut betroffen sind als Haushalte ohne behinderte Mitglieder. Die zentrale Forschungsfrage lautet, ob sich die höhere Armutsgefährdung durch sozioökonomische Faktoren und Haushaltsstrukturen erklären lässt oder ob tiefere strukturelle Ursachen vorliegen.
Methodik und Datenbasis
Die Analyse beruht auf 5.938 österreichischen Haushalten aus dem EU-SILC 2022-Datensatz, von denen 42 % mindestens eine Person mit Behinderung enthalten. Die Definition von Behinderung folgt der EU-SILC-Kategorie, die eine gesundheitliche Einschränkung von mindestens sechs Monaten Dauer umfasst. Mittels logistischer Regression wird das Armutsausfallrisiko der Haushalte analysiert, wobei Armut definiert ist als ein Einkommen unter 60 % des nationalen Medians nach Sozialtransfers. Zusätzlich wird eine Blinder–Oaxaca-Dekomposition verwendet, um den Anteil erklärbarer und unerklärbarer Armutsrisiken zu überprüfen.
Ergebnisse: Erhöhtes Armutsrisiko trotz Kontrolle von Faktoren
Die Untersuchung zeigt, dass Haushalte mit behinderten Mitgliedern ein deutlich höheres Risiko haben, von Einkommensarmut betroffen zu sein (17 % vs. 12 % bei Haushalten ohne Behinderung). Wichtige Einflussfaktoren wie Erwerbsintensität, Bildungsniveau, Migrationshintergrund und Haushaltsstruktur können zwar das Armutsausfallrisiko beeinflussen, erklären jedoch nicht die gesamte Differenz zwischen den Gruppen. Insbesondere bei Haushalten mit Menschen mit Behinderungen bleibt ein Teil des erhöhten Armutsrisikos bislang unerklärt.
Strukturierter Ableismus als Erklärung
Die Autorinnen führen das unerklärte höhere Armutsrisiko auf strukturellen Ableismus zurück – ein Konzept, das sich auf systemische, institutionelle und kulturelle Barrieren bezieht, die Menschen mit Behinderungen und deren Angehörige abwerten und benachteiligen. Dieser Ableismus äußert sich in diskriminierenden Einstellungen und Vorurteilen, unzureichender sozialer und beruflicher Unterstützung sowie politischen Rahmenbedingungen, die auf normalisierte Erwerbsbiografien ausgerichtet sind und spezifischere Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen und ihren Angehörigen nur unzureichend berücksichtigen.
Kontext des österreichischen Sozialsystems
Die Studie betont den Einfluss des konservativ-korporatistischen österreichischen Wohlfahrtsstaates, der stark an Erwerbsarbeit gekoppelte soziale Absicherung sowie familienbasierte Pflege vorsieht. Dies führt zu institutionellen Hürden bei der sozialen Teilhabe von Menschen mit Behinderungen, da Unterstützungsleistungen fragmentiert und bedarfsgeprüft sind und häufig auf familiäre Versorgung abstellen. Solche Strukturen verstärken die Armutsgefährdung trotz formaler sozialer Sicherheit.
Schlussfolgerungen und Handlungsbedarfe
Die Autorinnen plädieren für eine vertiefte Forschung zur Identifikation der strukturellen Ursachen und Diskriminierungsmechanismen. Gleichzeitig fordern sie politische Maßnahmen, die Barrieren abbauen, inklusive Beschäftigung fördern und solidarische Unterstützungsstrukturen schaffen, um das Armutsrisiko von Haushalten mit Menschen mit Behinderungen zu reduzieren. Eine stärkere Einbeziehung dieser Personen in die Gesetzgebung und Umsetzung sozialpolitischer Maßnahmen wird als zentral erachtet, um ihre Rechte und eine selbstbestimmte Lebensführung zu gewährleisten.