Rezension verfasst von: Livia Heinl
Anlässlich seiner Pensionierung im Herbst 2013 veröffentlichen Petra Flieger und Sascha Plangger mit „Aus der Nähe“ eine Hommage an Volker Schönwiese. Als politisch hoch aktiver Wegbereiter und Vertreter der österreichischen Selbstbestimmt Leben Bewegung und als Universitätsprofessor im Lehr- und Forschungsbereich Inklusive Pädagogik und Disability Studies der Universität Innsbruck war und ist er eine nicht-wegzudenkende Einflussgröße in der diesbezüglichen Wissenschaftslandschaft und der österreichischen Behindertenpolitik.
In „Aus der Nähe“ kommen nun WegbegleiterInnen aus unterschiedlichsten Bereichen seines Wirkens zu Wort. In kurzen und kurzweiligen Erzählungen beschreiben sie erinnerungswürdige gemeinsame Erlebnisse und Kreuzungspunkte der wissenschaftlichen und politischen Arbeit. Mit diesen liebevoll und mitunter auch sehr humorvoll erzählten Anekdoten wird ein umfassendes, vielschichtiges, teils auch private Einblicke gewährendes Bild der einflussreichen Arbeit von Volker Schönwiese gezeichnet. Doch – und dies ist nun ein Aspekt der das Buch unendlich sympathisch macht – diese Würdigungen der WegbegleiterInnen verfallen nie in eine zweifelhafte Heroisierung einer einzelnen Person, sondern sie vermitteln stets das Bild des produktiven, sich ergänzenden und somit äußerst kraftvollen Zusammenwirkens verschiedener politisch aktiver und hoch engagierter Menschen. So ist das Buch letztlich wesentlich mehr als „nur“ die Würdigung eines bemerkenswerten Mannes. Die Figur Volker Schönwiese bildet in „Aus der Nähe“ eine Art Ankerpunkt, über den zentrale gesellschaftspoltische Entwicklungen und Ereignisse in Bezug auf die Rechte von Menschen mit Behinderung nachgezeichnet und reflektiert werden. Die Bildung erster Initiativgruppen von Menschen mit und ohne Behinderung in Österreich in den 70er Jahren, die Organisierung der entstehenden Behindertenbewegung in der Selbstbestimmt Leben Initiative Österreich, die politischen Aktionen, mit welchen AktivistInnen lautstark ihre Rechte gefordert haben und so das vorherrschende Bild der mitleidsbedürftigen, still und ruhig dankbaren Menschen mit Behinderung nachhaltig ins Wanken gebracht haben – all dies lebt in dem Buch mit reflektierenden Blicken aus unterschiedlichsten Sichtweisen auf.
Die Realisierung des Pflegegeldes, der Aufbau erster mobiler Hilfsdienste, der Kampf um schulische Integration und Inklusion, das unerbittliche Engagement für Barrierefreiheit in jeglicher Hinsicht und vieles mehr – über Geschichten vermittelt sich die Geschichte dieser Entwicklungen in „Aus der Nähe“ fernab von trockenen Daten und Fakten. Mit den Geschichten bekommt die Geschichte Gesichter – Gesichter unterschiedlicher, politisch in höchstem Maße aktiver Menschen. So ist Petra Fliegers und Sascha Planggers Hommage an Volker Schönwiese letztlich ein historisches Dokument, das charmant, dabei aber bestimmt und laut aufzeigt, dass politische Entwicklungen in Richtung der Realisierung von Menschenrechten für tatsächlich alle Menschen nicht schlichtweg „sowieso irgendwann von selbst passieren“. Hinter derartigen Entwicklungen stehen engagierte Menschen, die eben nicht darauf warten, dass sich Diskriminierung und Unrecht von selbst lösen. So werfen die Erzählungen in dem Buch auch die Frage auf, wie es heute um jene Dinge steht, für die aktive Menschen in Österreich seit gut 30, 40 Jahren kämpfen – und sie versetzen den Leser/die Leserin in ein „unruhiges Kribbeln“ der Bereitschaft und Entschließung zu politischem Engagement.
Flieger, Petra / Plangger Sascha (2013) (Hg.): Aus der Nähe. Zum wissenschaftlichen und behindertenpolitischen Wirken von Volker Schönwiese. Neu Ulm: AG SPAK Bücher
Rezension verfasst von: Livia Heinl, Februar 2014